Herr Prof. Dr Cilliers Breytenbach hat im ersten Referat unseres Seminars die Frage nach den neutestamentlichen Sühneaussagen vor allem aus traditionsgeschichtlicher Sicht behandelt. Um in unseren diesjährigen Seminarsitzungen die Sühnethematik aus unterschiedlicher Sicht in den Blick zu bekommen, möchte ich heute ihre hermeneutische Problematik darlegen. Um mich darauf konzentrieren zu können, verzichte ich weithin auf die Explikation exegetischer Detailfragen. Die neutestamentlichen Aussagen über den ‘stellvertretenden Sühnetod Christi’ – diese Formulierung ist freilich die unserer theologischen Fachsprache, nicht die des Neuen Testaments – werden nicht nur auβerhalb des Christentums als unakzeptabel angesehen; auch innerhalb der Zunft der Theologen werden sie problematisiert. So werden sie z.B. von Rudolf Bultmann als nur ‘eine Gruppe’ von paulinischen Aussagen über das Heilsgeschehen beurteilt. Paulus bediene sich, um den Sinn dieses Heilsgeschehens zu beschreiben, ‘einer Reihe von Begriffen, die aus verschiedenen Anschauungskreisen stammen’. Die Aussagen über Jesu Tod als Sühnopfer sind danach eben jene Gruppe von Aussagen, ‘in denen der Tod Jesu in der Begrifflichkeit jüdischer Kultusanschauung, und d.h. zugleich des diese Anschauung bestimmenden juristischen Denkens’ verstanden wird. Damit sind zunächst einmal die paulinischen Sühneaussagen relativiert, eingeebnet unter konkurrierenden Vorstellungen. Mehr noch: Wenn von der Begrifflichkeit jüdischer Kultanschauung die Rede ist, dann ist die Intention vieler Autoren unverkennbar, das Moment des Überholten herauszustellen. Und in der Tat ist ja das in Christus von Gott gewirkte Heilsereignis weder ein kultisches Geschehen noch ist es auf das jüdische Volk eingeschränkt. Erst recht läβt es sich nicht in das Prokrustesbett juristischen Denkens zwingen. Die eigentliche Ablehnung der Vorstellung vom stellvertretenden Sühnetod Christi beruht aber gar nicht so sehr, sofern man Bultmanns Analyse folgt, auf einem exegetischen Sachverhalt, sondern resultiert vor allem aus einer modernen Plausibilität: Der Tod ist ein unvertretbares Geschehen; jeder stirbt seinen eigenen, seinen ureigenen Tod. Sterben und Tod sind nicht delegierbar. Martin Heidegger hat es auf den phänomenologischen Punkt gebracht: ‘Der Tod als Ende des Daseins ist die eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins.’ Ist aber der Tod in diesem Sinne ontologisch durch Jemeinigkeit konstituiert, so gilt: ‘Keiner kann dem Anderen sein Sterben abnehmen. Jemand kann wohl “für einen Anderen in den Tod gehen”. Das besagt jedoch immer; für den Anderen sich opfern “in einer bestimmten Sache”. Solches Sterben für … kann aber nie bedeuten, daβ dem Anderen damit sein Tod im geringsten abgenommen sei. Das Sterben muβ jedes Dasein jeweilig selbst auf sich nehmen. Der Tod ist, sofern er “ist”, wesensmäβig je der meine.’