Published online by Cambridge University Press: 02 March 2023
ZWISCHEN 1773 UND 1776 erscheint im Leipziger Verlag von Siegfried Lebrecht Crusius Johann Karl Wezels Lebensgeschichte Tobias Knauts, des Weisen, sonst der Stammler genannt. Schon aufgrund seines Sujets gilt dieser Roman als Dokument literarischer Radikalität: Wezel lässt seinen Protagonisten aus einer der untersten Schichten des dritten Standes kommen, überdies handelt es sich bei der Titelfigur um einen nicht nur „armen” und „dummen”, sondern auch „ungestalten Dorfjungen”. Mit Tobias Knaut taucht zum ersten Mal eine Hauptfigur in der deutschen Literaturgeschichte auf, die — in Kategorien des 20. Jahrhunderts — als „behindert” gelten würde: Der Sohn eines armen Dorfschullehrers kommt bereits „fehlgebildet” zur Welt, der erwachsene Tobias fällt durch seine Kleinwüchsigkeit, seinen Buckel sowie zahlreiche erworbene körperliche Entstellungen auf. Zu diesen Körperbehinderungen kommt seine schon im Romantitel aufscheinende „Sprachbehinderung“: das „Stammeln”, das in Verbindung mit Tobias’ „Dummheit” auch auf eine „geistige” bzw. „kognitive” Behinderung deutet. Im Diskurs des 18. Jahrhunderts entspricht Tobias mit seinen zahlreichen Deformationen einer „Monstrosität” (TK: III, 245). Von der literaturwissenschaftlichen Forschung sind diese „Deformationen” Tobias meist symbolisch als Sinnbild einer deformierten Gesellschaft gedeutet worden. Die körperliche Gestalt des Protagonisten wird in die Tradition der grotesken Ästhetik eingeordnet und in Bezug zur satirischen Intention des Romans gesetzt. Bislang übersehen wurde dabei, wie genau Wezel seine Figur im Hinblick auf den zeitgenössischen Wissensdiskurs über „Monstrositäten” konstruiert und welche Bedeutung dieser Diskurs für die anthropologische Reflexion des Romans hat.
Wie im Folgenden gezeigt werden soll, bedient sich Wezel in seinem Roman des zeitgenössischen Monstren-Diskurses und überführt diesen in ein anthropologisches Entwicklungsmodell, das Behinderung — einem Verständnis des 20. Jahrhunderts entsprechend — als Effekt psycho-physischer Wechselwirkungen innerhalb eines Sozialisationsprozesses beschreibt.
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