Published online by Cambridge University Press: 02 March 2023
DIESER BEITRAG MÖCHTE anhand eines dramatischen Textes von Heiner Müller und seiner Inszenierung aufzeigen, wie problematisch die Definition von „Behinderung“ im Sinne des sozialen (oder gar des medizinischen) Modelles ist, und die Suche nach anderen Dimensionen (und damit Definitionen) von Behinderung im Sinne der Disability Studies unterstützen.
Heiner Müllers Text „Philoktet“ wurde erstmals 1965 veröffentlicht und wird bis heute sehr unterschiedlich ausgelegt, beispielsweise als Antikriegsstück oder als Parabel auf tragische Konflikte innerhalb kommunistischer Systeme.
Relevante Vorgeschichte sowohl für den griechischen Mythos „Philoktet“, den Sophokles verfasste, als auch für Heiner Müllers Text, ist, dass Philoktet einst von seinem Freund Herakles dessen Bogen und Pfeile erbte, die ihr Ziel unfehlbar treffen. Doch als Philoktet, ausgestattet mit den unfehlbar treffenden Pfeilen auf der Hinfahrt des Hellenenheeres nach Troja auf der Insel Chryse von einer Schlange gebissen wurde, begann sein Fuß zu eitern und ihm starke Schmerzen zu bereiten. Da das Heer den verwundeten Philoktet nicht ertragen konnte, wurde er auf der Insel Lemnos ausgesetzt. Dort fristet Philoktet sein Dasein, bis er für die Eroberung Trojas benötigt wird. So entsendet man Odysseus, der mit Hilfe von Neoptolemos den Heros zurückbringen soll.
Um zu verhindern, dass das Stück zu einseitig als antike Tragödie bzw. Antikriegsstück gedeutet wird, stellte Müller einen Prolog voran, in dem der Philoktetdarsteller in einer Clownsmaske auftritt. Der Clown spricht:
Damen und Herren, aus der heutigen Zeit
Führt unser Spiel in die Vergangenheit
Als noch der Mensch des Menschen Todfeind war
Das Schlachten gewöhnlich, das Leben eine Gefahr
Und daß wirs gleich gestehn: es ist fatal
Was wir hier zeigen, hat keine Moral
Fürs Leben können Sie bei uns nichts lernen.
Wer passen will, der kann sich jetzt entfernen.
Saaltüren fliegen auf.
Sie sind gewarnt.
Saaltüren zu. Der Clown demaskiert sich: sein Kopf ist ein
Totenkopf.
Sie haben nichts zu lachen.
Bei dem, was wir jetzt miteinander machen. („Philoktet“, 291)
In Müllers Dramatik werden immer wieder unvereinbare Widersprüche thematisiert, stets scheint es, als könnte alles Gesagte durch einen Sprecherwechsel bei gleichem Text oder auch nur durch ein merkwürdiges „Ausgleiten“ in der Intonation des Sprechers ins Gegenteil umschlagen, so wie sich in diesem Prolog die Figur vom Clown zum Tod verwandelt, was dem Text im Nachhinein, im Nachhören eine zweite bzw. neue Bedeutungsebene gibt.
To save this book to your Kindle, first ensure [email protected] is added to your Approved Personal Document E-mail List under your Personal Document Settings on the Manage Your Content and Devices page of your Amazon account. Then enter the ‘name’ part of your Kindle email address below. Find out more about saving to your Kindle.
Note you can select to save to either the @free.kindle.com or @kindle.com variations. ‘@free.kindle.com’ emails are free but can only be saved to your device when it is connected to wi-fi. ‘@kindle.com’ emails can be delivered even when you are not connected to wi-fi, but note that service fees apply.
Find out more about the Kindle Personal Document Service.
To save content items to your account, please confirm that you agree to abide by our usage policies. If this is the first time you use this feature, you will be asked to authorise Cambridge Core to connect with your account. Find out more about saving content to Dropbox.
To save content items to your account, please confirm that you agree to abide by our usage policies. If this is the first time you use this feature, you will be asked to authorise Cambridge Core to connect with your account. Find out more about saving content to Google Drive.