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Brecht und Büchner. Theater der Revolution
from Focus: Brecht & Büchner
Summary
Die Passagen, in denen man in Brechts Schriften auf den Namen Büchner stoßen kann, sind spärlich. Die Auseinandersetzungen mit Danton's Tod währen nur wenige Sätze; die mehrfachen Erwähnungen des Woyzeck treten im Modus kurzer Sentenzen auf, die sich in ihren momenthaft aufblitzenden Annäherungen dem fragmentarischen Charakter ihres Gegenstands anzuverwandeln scheinen. Und auch wenn Büchner im Messingkauf neben Wedekind als einer der Dichter eingeführt wird, die den größten Einfluss auf Brecht ausübten, so muss er doch sogleich wieder hinter “Clown Valentin” zurücktreten, der als wichtigster Lehrer geehrt wird. Die Konjunktion Brecht und Büchner, der sich die folgenden Texte zuwenden, leitet sich daher nicht aus dem Interesse einer traditionellen Einflussgeschichte her, wiewohl die maßgebliche Bedeutung von Büchners Texten für Brechts Werk durchaus ins Blickfeld geraten soll. Ausgangspunkt der Überlegungen ist vielmehr ein Gegenstand, um den dramatische, tagespolitische und agitatorische Texte beider Autoren immer wieder aufs Neue kreisen: die Frage der Revolution.
Man kann dabei etwa an den Hessischen Landboten denken, der seine politische Anklage gleichermaßen mit statistischer Beweisführung wie mit religiösem Versprechen vorbringt; an das Revolutionstribunal, dessen Theatralität Danton's Tod auf der Bühne verdoppelt; an die Maßnahme, die die Brutalität der Revolution zum Lehrstück macht oder an Jae Fleischhacker in Chikago, das ausgehend von der Weizenbörse ein Revolutionsgeschehen an den Grenzen der Darstellbarkeit zeigen sollte. Hier finden sich die intensivsten intertextuellen Verklammerungen – Woyzeck und Trommeln in der Nacht etwa, oder Danton's Tod und Die Tage der Commune. Vor allem aber eröffnet das Denken der Revolution ein Feld geteilter Fragestellungen und Probleme: ein Erproben von Geschichtsmodellen, die voranschreiten oder aber sich in endloser Wiederholung drehen; ein Materialismus, der der Moral auch das Fressen entgegenhält; der Blick auf Bürgersöhne wie auf das niedrigste Volk als wechselnde Darsteller des Aufruhrs. Die Versuche, die Revolution in Szene zu setzen, berühren dabei Fragen, die die Ästhetik des Theaters in ihrem Innersten betreffen. So ist es auch nur konsequent, dass die Auseinandersetzung mit der Theatralität der Revolution sowohl bei Büchner als auch bei Brecht immer wieder in die Frage nach der Notwendigkeit einer Revolution des Theaters überführt wird. Brecht selbst hatte Büchners Dramatik in einer genealogischen Deutung auf einer “Linie” situiert, “die zu gewissen Versuchen des epischen Theaters gezogen werden kann” und sie damit als wichtigen Bezugspunkt seiner eigenen Theaterästhetik markiert.
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- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 39The Creative Spectator, pp. 187 - 195Publisher: Boydell & BrewerPrint publication year: 2016