Einleitung
Die zwei Wörter σὺ λέγεις gehören als Personalpronomen und als verbum dicendi wohl mit zu den am häufigsten begegnenden Wörtern im Neuen Testament. Als solche sollten die beiden Wörter leicht verständlich sein. Und so muss auf den ersten Blick überraschen, dass die Verbindung dieser beiden Wörter in der hier begegnenden Abfolge und Flexion zu den enigmatischsten Aussagen Jesu gehört. Es besteht keineswegs Konsens darüber, wie diese beiden Wörter in der vorliegenden Verbindung zu verstehen sind, teils scheint es sich um die Bestätigung einer Aussage durch Jesus zu handeln (zu übersetzen mit: „Du sagst es“) – so beispielsweise bei der Frage des Judas im Matthäusevangelium (Mt 26,25) –, teils scheint eine Interpretation dieser Phrase als Zustimmung zu etwas vorher Gesagtem auch Probleme der Deutung aufzuwerfen, so dass man hier durchaus auch als Zurückweisung einer Behauptung übersetzt: „Das sagst du.“
Eine „salomonische“ Lösung schlägt in diesem Fall Walter Grundmann vor, wenn er bezüglich des σὺ εἶπας in Mt 26,25 festhält, dass es „je nach dem Zusammenhang verneinend oder auch bejahend verstanden werden kann.“Footnote 1 Aus Sicht der Philologie erweckt dieser situationselastische Zugang zum Verständnis den Eindruck, dass man seitens der Exegese bereit ist, letztlich der Phrase den Sinn beizulegen, welcher in der jeweiligen Situation zu passen scheint, ohne dass dabei aus Sicht der Philologie ausreichende semantische Argumente vorliegen. Immerhin wäre gerade in den forensischen Kontexten, in denen die Phrase ja auch begegnet, zu erwarten, dass eine eindeutige Aussage getroffen wird, wobei für die intendierte Leserschaft der biblischen Texte unmissverständlich sein sollte, was gesagt wird.
Dass ein bejahendes Verständnis der vorliegenden Phrase dazu angetan ist, Probleme des Textverständnisses hervorzurufen, trifft zum Beispiel für den Prozess Jesu zu. Schließlich muss in diesem Fall die Frage aufgeworfen werden, wie Pilatus weiterhin von der Unschuld Jesu überzeugt sein könne, wenn Jesus die Frage des Pilatus, ob er „König der Juden“ sei, bejahend beantwortet. Immerhin könnte man römischrechtlich den damit erhobenen Anspruch Jesu als laesio maiestatis werten. Falls Jesus also im Sinne des Römischen Rechts ein confessus dieses crimen war, wäre seine Verurteilung notwendig und die Aussage des Pilatus, er fände keine Schuld an Jesus, unsinnig. Schließlich oblag Pilatus die Rechtspflege.Footnote 2 Man wird Christoph Paulus zustimmen müssen, der festhält, dass der Kreuzestitulus dahingehend zu verstehen ist, dass hier gleichsam der Anspruch Jesu, „König der Juden“ zu sein, als laesio maiestatis öffentlich zum Ausdruck gebracht werde.Footnote 3
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, aufzuzeigen, dass die Unsicherheit des Textverständnisses, die sich ja auch in besonderer Weise in der These Grundmanns zeigt, dass die Phrase sowohl bejahend als auch verneinend verstanden werden kann, darauf zurückzuführen scheint, dass es sich zwar um eine im griechischen Text der Evangelien semantisch eindeutige Formulierung handelt, dass diese Eindeutigkeit jedoch bisher nicht schlüssig aufgezeigt wurde. Der vorliegende Beitrag macht es sich deshalb zur Aufgabe, die semantische Eindeutigkeit der Formulierung σὺ λέγεις auf der Basis einer philologischen Analyse nachzuweisen. Dies ist selbstverständlich dann für die Interpretation der Passagen von Bedeutung, wo diese Phrase begegnet.
Damit ist eine Dreiteilung des Beitrags von der Sache her vorgegeben. In einem ersten Abschnitt ist ein kurzer Überblick darüber zu geben, wie diese kurze Phrase gemeinhin in den Kontexten, in denen sie im Neuen Testament begegnet, verstanden wird. In einem nächsten (vergleichsweise kurzen) Schritt ist mittels einer philologischen Analyse nachzuweisen, dass die Unsicherheit bezüglich der Bedeutung der Phrase zu Unrecht besteht. In einem dritten Schritt sind die philologischen Ergebnisse auf die Stellen im Neuen Testament anzuwenden, an denen die Phrase begegnet. Dabei wird deutlich, dass die semantische Eindeutigkeit die Interpretation der entsprechenden Passagen teilweise erleichtert und zur Klärung einer ganzen Reihe von Fragen beizutragen vermag, dass jedoch neue, bisher noch nicht in den Blick getretene Fragen aufgeworfen werden. Diese Fragen vollständig zu beantworten, würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen.
1. Die herrschende Interpretation der Phrase σὺ λέγεις/σὺ εἶπας
1.1 Die Frage des Judas
In Rahmen des Berichts vom letzten Abendmahl in der Version des Matthäusevangeliums (Mt 26,20–5) begegnet die hier interessierende Phrase im Aorist (σὺ εἶπας) als Antwort Jesu auf die Frage des Judas. Der Abschnitt lässt sich folgendermaßen gliedern: Jesus spricht zuerst alle Jünger an und kündigt an, dass einer von ihnen ihn verraten werde. Diese reagieren mit einer Frage, die jeder der Jünger stellt (Mt 26,22b): μήτι ἐγώ εἰμι, κύριε; Jesus antwortet darauf mit der folgenden Aussage (Mt 26,23bc): ὁ ἐμβάψας μετ’ ἐμοῦ τὴν χεῖρα ἐν τῷ τρυβλίῳ οὗτός με παραδώσει. Daraufhin fragt Judas (Mt 26,25b): μήτι ἐγώ εἰμι, ῥαββί; Jesus antwortet (Mt 26,25d): σὺ εἶπας.Footnote 4
Nach herrschender Meinung ist Jesu Aussage, dass derjenige ihn verraten werde, der die Hand mit ihm in die Schüssel taucht, eine Reaktion auf die Verunsicherung der Jünger und diene der eindeutigen Festlegung, wer der Verräter unter ihnen ist. Das Partizip im Aorist (ἐμβάψας) lasse den Schluss zu, dass derjenige, dessen Hand sich unmittelbar während oder kurz vor dem Gesagten in der mit Jesus geteilten Schüssel befindet, der Angesprochene sei.Footnote 5 Eine besondere Bedeutung wird teilweise auch in der Verwendung des Vokativs ῥαββί gesehen, der bei Matthäus nur hier und in 26,49 von Judas verwendet wird, während die anderen Jünger Jesus mit κύριε anreden. Damit werde Judas mit den Gegnern Jesu auf eine Ebene gebracht.Footnote 6 Ulrich Luz hält hierzu fest: „Die Leser/innen werden an 23,8 erinnert, wo ῥαββί als unter den feindlichen jüdischen Schriftgelehrten beliebte Anrede eingeführt wurde … Mindestens implizit bekommt hier Judas ein negatives ‚Judenmerkmal‘.“Footnote 7 Durch sein Nachhaken, welches auf den Leser vorgetäuscht wirke, werde Judas zusätzlich in schlechtes Licht gerückt.
Jesu Antwort (σὺ εἶπας) kann nach herrschender Meinung, wie bereits in der allgemeinen Einleitung betont, unterschiedlich gedeutet werden: Entweder wird das „Du“ betont, womit der Akzent darauf liegt, dass nicht Jesus, sondern Judas diesen Schluss gezogen hat. Damit lasse sich Judas nicht zweifelsfrei die Rolle des Auslieferers Jesu zuteilen.Footnote 8 Oder der Schwerpunkt liegt auf dem Verb. Dadurch wird Judas eindeutig als Verräter gekennzeichnet.Footnote 9 Im vorliegenden Kontext wird die Phrase von den Interpreten der Passage meist im letzteren Sinn verstanden.Footnote 10 Auf diesem Textverständnis aufbauend kann auch die Dreistigkeit des Judas hervorgehoben werden, weiterzuessen, während Jesus seinen Verrat offenkundig macht.Footnote 11 Bereits der Umstand, dass man sich hierfür auf die Formulierungen in Mt 26,64 und 27,11 bezieht,Footnote 12 zeigt deutlich, dass es sich um ein zirkuläres Argument handelt. Schließlich stellt die Phrase die Antwort auf eine mit εἰ eingeleitete Frage (Mt 26,63) bzw. auf eine direkte Frage (Mt 27,11) dar.Footnote 13 Bei derartigen offenen Fragen ist aus Sicht der Semantik keineswegs eindeutig, wie sie beantwortet werden. Man ist also aufgrund des Kontextes keinesfalls gezwungen, die von Jesus als Antwort verwendete Phrase im Sinne einer Bestätigung deuten zu müssen.
1.2 Das Verhör Jesu
In allen Berichten vom Verhör Jesu begegnet die Phrase σὺ λέγεις. Es handelt sich damit um eine in einem forensischen Kontext verwendete Phrase. Hierauf ist im Rahmen der philologischen Analyse noch einmal zurückzukommen.
1.2.1 Jesus vor dem Hohen Rat
Im Matthäusevangelium findet sich die Antwort Jesu (σὺ εἶπας; vgl. Mt 26,64b) im Verhör vor dem Hohen Rat (Mt 26,59–66). Direkt vor dem entscheidenden Dialog zwischen Jesus und dem Hohepriester treten zwei Zeugen auf, auf deren Aussage Jesus nichts erwidert (Mt 26,60b–63a). Der nächste Abschnitt (63b–64), in dem auch die hier interessierende Phrase Verwendung findet, bildet den Höhepunkt: Nur hier spricht Jesus und seine Antwort ist die Grundlage für die Verurteilung Jesu durch den Hohen Rat aufgrund von Gotteslästerung (65–6).Footnote 14
Die Wortmeldung Jesu in Mt 26,64 besteht aus zwei Abschnitten. Die erste Einheit bildet σὺ εἶπας. Diese Phrase wird in der exegetischen Diskussion als mehrdeutig angesehen.Footnote 15 Eine Möglichkeit ist, dass Jesus sich mit dieser Erwiderung weigert, eine eindeutige Antwort zu geben. In diesem Fall wäre die sich daran anschließende und mit πλήν beginnende Antwort Jesu eine Korrektur der Anschuldigungen des Hohepriesters.Footnote 16 Falls man die Erwiderung Jesu als Bejahung der Frage des Hohen Priesters betrachtet (für dieses Textverständnis wird auf die Bezüge zu Dan 7,13 und Ps 110,1 verwiesen), muss die Phrase σὺ εἶπας als eine bestätigende Antwort angesehen werden.Footnote 17 Ferner wird darauf hingewiesen, dass sich diese Bedeutung der Phrase σὺ εἶπας auch durch zwei Parallelstellen im Matthäusevangelium (Mt 26,25: σὺ εἶπας, sowie 27,11: σὺ λέγεις) erhärten lasse;Footnote 18 da an beiden Stellen dieselbe Wortfolge bejahend verwendet werde, liege es nahe, dass dies auch für die Verwendung der Phrase in Mt 26,64 zutreffe.Footnote 19
Ein weiteres Argument ist, dass Jesus in der synoptischen Parallele des Verhörs im Markusevangelium (Mk 14,62) mit ἐγώ εἰμι anstelle von σὺ εἶπας antwortet, um dann ebenfalls die Bezüge zu Dan 7,13 und Ps 110,1 herzustellen. Allerdings, darauf ist hier aus Sicht der Philologie hinzuweisen, geschieht die Überleitung in Mk 14,62 mit der kopulativen Konjunktion καί, was auf einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem bestätigenden ἐγώ εἰμι Jesu und den darauffolgenden Worten in Mk 14,63 hinweist. Bei dieser Argumentation wird folglich übersehen, dass sich in Mt 26,64 die adversative Konjunktion πλήν findet. Für eine Gleichwertigkeit der beiden Aussagen (Mt 26,64: σὺ εἶπας/Mk 14,26: ἐγώ εἰμι) im Kontext müsste also die unterschiedliche Koordinierung der beiden Hauptsätze mittels unterschiedlicher Konjunktionen erklärt werden. Mit Mt 26,64b (ἀπ’ ἄρτι ὄψεσθε τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου καθήμενον ἐκ δεξιῶν τῆς δυνάμεως καὶ ἐρχόμενον ἐπὶ τῶν νεφελῶν τοῦ οὐρανοῦ) verkündet Jesus zum ersten Mal in der Öffentlichkeit, dass er der Menschensohn sei.Footnote 20 Luz weist darauf hin, dass Jesus damit zum Richter und der Hohepriester zum Angeklagten werde. Dies steht antithetisch zu seiner momentanen Situation.Footnote 21
1.2.2 Jesus vor Pilatus
Die Aussage Jesu in Mt 27,11 befindet sich im ersten Teil der Perikope, die von Vers 11 bis 26 reicht. Zu Beginn (11–14) verhört Pilatus Jesus. Die Frage, ob Jesu ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων sei, beantwortet dieser mit σὺ λέγεις. Im nächsten Abschnitt (15–23) spricht Pilatus zu der Volksmenge, Jesus selbst schweigt. Im abschließenden Teil (24–26) weist Pilatus die Verantwortung für Jesu Verurteilung mittels der Symbolhandlung der Handwaschung von sich.Footnote 22 In diesem Zusammenhang wird betont, dass Jesu Antwort an Mt 26,25.64 erinnere.Footnote 23 Da die Phrase an diesen Stellen in bejahendem Sinn verwendet werde, liegt es nahe, sie auch hier als Bestätigung zu sehen.Footnote 24 Außerdem sei es keine Seltenheit, dass mit dieser Wortwahl ein „Ja“ wiedergegeben werde. Die Verstärkung des Subjekts durch ein zusätzliches σύ, das explizit neben dem Verb genannt wird, komme angeblich häufiger vor.Footnote 25
In diesem Zusammenhang wird auch behauptet, der Verfasser des Matthäusevangeliums verwende σὺ λέγεις immer dann, wenn die Gegner Jesu unwissentlich die Wahrheit über ihn sagen.Footnote 26 Teilweise findet sich auch der Deutungsansatz, seine Antwort als ausweichend einzustufen, da „für ihn [Jesus] Messianität nicht politisches Königtum“ sei.Footnote 27 Während die römischen Autoritäten mit Jesu Antwort, so scheint es, nichts anfangen können, verstehe die Gemeinschaft um Jesus seine absichtlich mehrdeutige Antwort als eine Art Bekenntnis und als Ausdruck seiner Überlegenheit.Footnote 28 Die gängige Interpretation der Antwort Jesu führt dazu, dass teilweise auch Abweichungen zu einem römischen Prozess festgestellt werden.Footnote 29
Auch im Markusevangelium findet sich die hier interessierende Phrase im Verhör vor Pilatus (Mk 15,2). Sie ist Teil eines größeren Abschnitts, der zuerst vom Verhör Jesu durch Pilatus (15,1–5) und der Freilassung des Barabbas (15,6–15) berichtet. Bezüglich der Literarkritik wird die Möglichkeit erwogen, der Verfasser des Markusevangeliums habe seine Vorlage ergänzt.Footnote 30 Nach Rudolf Pesch hat er jedoch in seine Vorlage nicht eingegriffen.Footnote 31 Im vorliegenden Kontext darf auch erwähnt werden, dass Mk 15,2 als nachträglich hinzugefügt angesehen werden kann, da dies den Erzählfluss störe.Footnote 32
Die Frage des Pilatus in Mk 15,2 (σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων;) ist parallel zu Mk 14,61 konstruiert.Footnote 33 Pilatus gehe es daher bei seiner Frage wahrscheinlich um die Infragestellung der Position des Kaisers.Footnote 34 Ein mögliches Textverständnis ist, anzunehmen, dass die Frage vom Verfasser des Markusevangeliums hier ambivalent eingesetzt werde, dass also auch die religiöse Ebene betroffen sei.Footnote 35 Eine mögliche Deutung der Antwort Jesu ist, die Phrase σὺ λέγεις mit den unterschiedlichen Ebenen des „Königtums“ (politisch oder religiös) in Verbindung zu bringen. Jesus lässt bei einer solchen Deutung des Textes offen, auf welcher Ebene der Titel auf ihn zutrifft. Σὺ λέγεις ist in diesem Fall weder als eindeutige Zustimmung noch als Ablehnung zu verstehen.Footnote 36 Ferner können die Worte Jesu auch als verneinend gedeutet werden.Footnote 37 Eine Verneinung der Anklagepunkte von Seiten Jesu erkläre außerdem am besten den weiteren Fortgang der Perikope, da die Hohepriester nun mit neuen Anschuldigungen ihre Anklage intensivieren.Footnote 38
Ferner wird auch die Ansicht vertreten, Jesus bejahe letztlich die Frage des Pilatus. Er bestätige einerseits, dass er ein König sei, andererseits distanziere er sich von der Formulierung, da seine eigene Vorstellung seines Königtums sich nicht mit der, die in der Frage impliziert wird, decke. Diese Zurückhaltung Jesu führe Pilatus dazu, das Verhör fortzusetzen.Footnote 39 Jesu Entgegnung kann (unter Hinweis auf Mt 26,25, Mt 26,64 und Joh 18,37) auch als Zustimmung ohne jegliche Einschränkung gesehen werden.Footnote 40 Schließlich spreche Pilatus auch in Mk 15,9.12 von Jesus als „König der Juden“. Aus diesem Grund müsse er die Antwort Jesu in Mk 15,2 als Bestätigung aufgefasst haben.Footnote 41
Während die Nähe des Matthäusevangeliums zum Markusevangelium beim Verhör vor Pilatus deutlich erkennbar ist, findet sich in der lukanischen Version eine relativ selbständige Erzählung. Die Ereignisse entsprechen, so scheint es, stärker dem Verlauf eines römischen Rechtsprozesses, da das Verhör mit einer Anklage einleitet werde.Footnote 42 Diese fehle bei Markus und Matthäus.Footnote 43 Die Frage des Pilatus (Lk 23,3: σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων;) und die Antwort Jesu (σὺ λέγεις) finden sich auch im Lukasevangelium.Footnote 44 Nach der markinischen und der matthäischen Version befragt Pilatus Jesus nach dessen Antwort σὺ λέγεις erneut, während Jesus auf die weiteren Fragen keine Antwort gibt.Footnote 45 Nach der lukanischen Version erklärt Pilatus Jesus nach dessen Antwort σὺ λέγεις für unschuldig (Lk 23,4): oὐδὲν εὑρίσκω αἴτιον ἐν τῷ ἀνθρώπῳ τούτῳ. Dadurch betone Lukas, dass die christliche Gemeinschaft keine Gefahr für den römischen Staat darstelle. Hier würde die junge christliche Gemeinde von revolutionären Bewegungen „der Juden“ abgegrenzt.Footnote 46 Lukas verdeutlicht folglich in der Szene mit dem Verhör durch Pilatus die Unschuld Jesu. Dies geschieht durch die Aussage des Pilatus, er finde keine Schuld an ihm, und durch die offensichtlich leeren Anklagepunkte der Gegner Jesu.Footnote 47 Möglicherweise wurde die Tatsache von Jesu Unschuld von der Kirche damals bereits sehr früh konsequent unterstrichen und findet deshalb hier ihren Niederschlag.Footnote 48 Als Problem erweist sich, dass σὺ λέγεις als Bestätigung der Frage des Pilatus verstanden werden kann.Footnote 49 In diesem Fall hätte Pilatus Jesus für schuldig befinden müssen. Dies spricht dagegen, Jesu Antwort bejahend aufzufassen.Footnote 50 Aus dem textimmanenten Widerspruch werden literarkritische Schlussfolgerungen gezogen.Footnote 51
Das Verhör vor Pilatus im Johannesevangelium kann als Höhepunkt der johanneischen Passionsgeschichte gesehen werden, da sich hier zahlreiche Motive dramatisch verdichten.Footnote 52 Die Hauptfunktion des Prozesses ist es, Jesu Selbstoffenbarung als „König nicht aus dieser Welt“ darzustellen.Footnote 53 Die Frage σὺ εἶ ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων; (Joh 18,33) und die Antwort σὺ λέγεις (Joh 18,37) übernimmt der Verfasser des Johannesevangeliums vermutlich aus seiner Vorlage.Footnote 54 Gegenüber den Synoptikern ist der Text erweitert. Die Gegenfrage Jesu (Joh 18,34: ἀπὸ σεαυτοῦ σὺ τοῦτο λέγεις ἢ ἄλλοι εἶπόν σοι περὶ ἐμοῦ;) provoziert eine Antwort des Pilatus (Joh 8,35: μήτι ἐγὼ Ἰουδαῖός εἰμι; τὸ ἔθνος τὸ σὸν καὶ οἱ ἀρχιερεῖς παρέδωκάν σε ἐμοί). Pilatus betone, dass die Anklage nicht von den römischen Autoritäten ausgeht, sondern von den jüdischen Hohepriestern. Daraus kann man folgern, dass die Verantwortung über die Anklage und anschließende Hinrichtung Jesu dadurch gänzlich auf „das Volk und seine Führer“ geschoben werde.Footnote 55 „Das Volk“ meine aber nicht das gesamte jüdische Volk, sondern beziehe sich vermutlich auf das Synhedrion.Footnote 56 In 18,36 spricht Jesus von seinem „Königtum“, betont jedoch, dass dieses „nicht von dieser Welt“ sei (18,36b: ἡ βασιλεία ἡ ἐμὴ οὐκ ἔστιν ἐκ τοῦ κόσμου τούτου). Pilatus versucht im Verhör, mittels einer Nachfrage diese Aussage zu präzisieren (Joh 18,37b: οὐκοῦν βασιλεὺς εἶ σύ;). Jesu Antwort, in der die hier interessierende Phrase begegnet (Joh 18,37de: σὺ λέγεις ὅτι βασιλεύς εἰμι), kann als Bestätigung gesehen werden.Footnote 57 Dabei kann hervorgehoben werden, dass jede andere Interpretation einen starken Widerspruch zur johanneischen Theologie ergebe.Footnote 58 Im Falle einer Übersetzung mit „du sagst, dass ich ein König bin“ wiederholt Jesus nur, was Pilatus sagt.Footnote 59 Im Falle einer geänderten Interpunktion kann hier auch ein johanneisches „Ich-Bin-Wort“ gesehen werden.Footnote 60 Anschließend an die Phrase σὺ λέγεις beschreibt Jesus sein Königtum genauer (Joh 18,37f–i: ἐγὼ εἰς τοῦτο γεγέννημαι καὶ εἰς τοῦτο ἐλήλυθα εἰς τὸν κόσμον, ἵνα μαρτυρήσω τῇ ἀληθείᾳ· πᾶς ὁ ὢν ἐκ τῆς ἀληθείας ἀκούει μου τῆς φωνῆς).Footnote 61 Die Unschuldserklärung des Pilatus in 18,38b scheint der Abwälzung der Verantwortung auf „die Juden“ bzw. auf die jüdischen Führungspersönlichkeiten zu dienen.Footnote 62 Die Unschuldserklärung ähnelt in der Wortwahl Lk 23,4.Footnote 63 Obwohl Pilatus in 18,38 die Unschuld Jesu erklärt, bezeichnet er ihn im folgenden Vers als βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων. Dies kann als Argument dafür angesehen werden, dass Pilatus die Antwort Jesu als Bestätigung aufgefasst hat.Footnote 64
1.3 Die befreiende Wahrheit
Die hier interessierende Phrase begegnet auch noch in Joh 8,33 als Teil einer direkten Frage der jüdischen Gesprächspartner Jesu. Nach Joh 8,31a handelt es sich dabei um Juden, die an Jesus glauben. Durch Jesu Aussage (Joh 8,31b–32: ἐὰν ὑμεῖς μείνητε ἐν τῷ λόγῳ τῷ ἐμῷ, ἀληθῶς μαθηταί μού ἐστε καὶ γνώσεσθε τὴν ἀλήθειαν, καὶ ἡ ἀλήθεια ἐλευθερώσει ὑμᾶς) fühlen sie sich zu einer Gegenfrage provoziert.Footnote 65 Der Phrase ist – wie auch in Joh 18,37d–e – ein Objektsatz angefügt (Joh 8,33de: πῶς σὺ λέγεις ὅτι ἐλεύθεροι γενήσεσθε;). Für die hier interessierende Fragestellung ist von Belang, dass die jüdischen Gesprächspartner Jesu eindeutig Jesus zitieren und sich dabei im Sinne einer kontroversen Diskussion durch die Einleitung des Zitats von Jesu Worten distanzieren. Die Lutherbibel 2017 überträgt: „Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden?“ Man könnte durchaus noch klarer die Distanzierung zum Ausdruck bringen, indem man so überträgt: „Wie kannst du behaupten, dass wir frei werden?“
1.4 Jesu Autorität
Noch ein weiteres Mal begegnet die hier interessierende Phrase im achten Kapitel des Johannesevangeliums (Joh 8,52). Intratextuell entspricht die Verwendung der Phrase in Joh 8,52 einer parallelen Formulierung innerhalb einer rhetorischen Frage in Joh 8,48c–e (οὐ καλῶς λέγομεν ἡμεῖς ὅτι Σαμαρίτης εἶ σὺ καὶ δαιμόνιον ἔχεις;). Die jüdischen Gesprächspartner werfen Jesus in Joh 8,48 vor, ein Σαμαρίτης zu sein und ein δαιμόνιονFootnote 66 zu haben.Footnote 67 Die Phrase οὐ καλῶς λέγομεν ἡμεῖς am Anfang des Satzes kann dahingehend verstanden werden, dass andernorts Jesus als Samaritaner und als von einem Dämonen besessen angesehen worden sei.Footnote 68 Jesus verteidigt sich und schließt seine Erwiderung mit der Aussage (Joh 8,51bc): ἐάν τις τὸν ἐμὸν λόγον τηρήσῃ, θάνατον οὐ μὴ θεωρήσῃ εἰς τὸν αἰῶνα. Daraufhin fühlen sich die Gesprächspartner darin bestätigt, dass Jesu Lehre falsch ist. Da auch früher große Propheten wie Moses gestorben seien, sei es Selbstüberschätzung Jesu, nun von sich zu behaupten, er könne dem Tod entrinnen.Footnote 69 In ihrer Antwort zitieren sie Jesus (Joh 8,52e–g): καὶ σὺ λέγεις· ἐάν τις τὸν λόγον μου τηρήσῃ, οὐ μὴ γεύσηται θανάτου εἰς τὸν αἰῶνα). Man wird auch hier die Einleitung des Zitats dahingehend verstehen dürfen, dass sich die jüdischen Gesprächspartner Jesu von seiner Aussage, die sie zitieren, bewusst und deutlich distanzieren.
1.5 Den Vater sehen
Die hier interessierende Phrase begegnet auch in den Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium, und zwar innerhalb der ersten Rede (Joh 13,31–14,31). Es handelt sich um das Gespräch Jesu mit Philippus, der von Jesus den Vater „gezeigt bekommen möchte“ (Joh 14,8bc: κύριε, δεῖξον ἡμῖν τὸν πατέρα, καὶ ἀρκεῖ ἡμῖν). Ähnlich wie auch in Joh 8,33 ist die Phrase Teil einer Frage und leitet das Zitat mit der Bitte des Philippus ein. Allerdings – im Gegensatz zu Joh 8,33 – ist die Einleitung des Zitats nicht durch ὅτι vom Zitat getrennt. Jesu Antwort an Philippus (Joh 14,9f: πῶς σὺ λέγεις) wird dabei meistens mit „wie kannst du sagen“ übersetztFootnote 70 und als TadelFootnote 71 oder als VerwunderungFootnote 72 gesehen.
1.6 Was sagst du über dich?
Die Phrase σὺ λέγεις begegnet noch einmal im Rahmen der Heilung des Blindgeborenen. Innerhalb der Pharisäer ist die Meinung gespalten, da die Heilung am Sabbat stattfand. Die einen argumentieren, dass die Tatsache, dass er dieses Wunder vollbringen kann, voraussetzt, dass er keine Sünden begangen hat. Die anderen betonen, es sei Sabbat gewesen und die Sünde bestehe darin, an diesem Tag so etwas zu tun (Joh 9,16). Die Pharisäer befragen dann den Geheilten. Dieser solle seine Meinung über Jesus kundtun (Joh 9,17):Footnote 73 τί σὺ λέγεις περὶ αὐτοῦ, ὅτι ἠνέῳξέν σου τοὺς ὀφθαλμούς; Die starke Betonung des „Du“Footnote 74 kann als eine Provokation der Pharisäer gesehen werden: Der Bettler wird „dazu provoziert, sich selbst mit Jesus in Verbindung zu setzen“.Footnote 75 Andere setzen das „Du“ in 9,17 mit dem „Ich“ in 9,9 in Verbindung und erklären die explizite Erwähnung des Pronomens damit.Footnote 76
1.7 Zusammenfassung
Bei aller Unsicherheit darüber, wie die Phrase σὺ λέγεις genau verstanden werden muss, kann festgehalten werden, dass sie zu einem überwiegenden Maß entweder im forensischen Kontext des gerichtlichen Verhörs begegnet (so in den Verhören vor Pilatus oder dem Synhedrion; man wird wohl auch die Befragung des Blindgeborenen im weiteren Sinn als ein Verhör betrachten dürfen) oder in kontroversen Auseinandersetzungen (so zum Beispiel im achten Kapitel des Johannesevangeliums oder in den johanneischen Abschiedsreden Jesu im Gespräch Jesu mit Philippus). Dies allein legt es nahe, dass die Formulierung semantisch eindeutig sein sollte, schließlich sind es im Rahmen der Befragung des Blindgeborenen die den Fall einer potentiellen Verletzung des Sabbat-Gebots untersuchenden Rechtsgelehrten, welche dem Geheilten die Frage stellen, die mit der hier interessierenden Formulierung eingeleitet wird. Diese Erkenntnis, dass es sich um einen forensischen Kontext handelt, in welchem die Phrase gehäuft begegnet, leitet über zur philologischen Analyse der Bedeutung, welche sich aus einem weiteren Bespiel ableiten lässt.
2. Philologische Analyse des Problems
Bereits bei der Untersuchung der neutestamentlichen Passagen, in denen die Wendung σὺ λέγεις begegnet, wurde deutlich, dass diese Phrase meist in einem forensischen Kontext gebraucht wird. Der römische Rechtspfleger erhält von Jesus die Antwort σὺ λέγεις. Ein Blick in die Septuaginta zeigt, dass es sich tatsächlich um eine in den forensischen Kontext gehörige Phrase handelt. Das sprichwörtliche salomonische Urteil ist soweit bekannt, dass der Vorfall nicht eigens beschrieben werden muss. Das Verhör der beiden Frauen durch den König lautet (1 KönLXX 3,23 = 3 Kgt 3,23): καὶ εἶπεν ὁ βασιλεὺς αὐταῖς Σὺ λέγεις Οὗτος ὁ υἱός μου ὁ ζῶν, καὶ ὁ υἱὸς ταύτης ὁ τεθνηκώς· καὶ σὺ λέγεις Οὐχί, ἀλλὰ ὁ υἱός μου ὁ ζῶν, καὶ ὁ υἱός σου ὁ τεθνηκώς. Die Septuaginta Deutsch überträgt dies folgendermaßen: „Und der König sagte zu ihnen: Du sagst ‚Dieser (ist) mein Sohn, der lebende, und deren Sohn (ist) der tote.‘ Und du sagst: ‚Nein, sondern mein Sohn (ist) der lebende, und dein Sohn (ist) der tote.‘“
Angesichts dieser eindeutigen Verwendung im forensischen Kontext wird man Alexander Demandt nicht zustimmen können, wenn er Folgendes festhält: „Die Antwort ‚Du sagst es‘ (sy legeis, Mk. 15,2) ist ein klares ‚Ja‘. Gelegentliche Umdeutungen neuerer Theologen in ‚Das sagst Du!‘ sind philologisch unhaltbar (gleichbedeutend sy eipas, Mt 26,25), sie stehen zudem im Widerspruch zum Kontext und zum Zeugnis Jesu bei Johannes (18,37).“Footnote 77 Im Gegensatz zu dieser philologisch nicht begründeten Behauptung wird man σὺ λέγεις nur als eine klar zugespitzte und eindeutige Formulierung sehen können, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass das, was ein anderer sagt, keinesfalls richtig sein muss. Es ist also gerade kein eindeutiges „Ja“, sondern ein „Das behauptest du (und gerade nicht ich).“Footnote 78
Damit ist gleichzeitig die Überleitung zum dritten Abschnitt gegeben, in dem untersucht werden soll, was dieses Ergebnis für das Verständnis der Passagen bedeutet, in denen in den Evangelien ein σὺ λέγεις zu finden ist.
3. Anwendung der philologischen Ergebnisse auf das Neue Testament
3.1 Die Frage des Judas
Die Antwort Jesu auf die Frage des Judas im Matthäusevangelium wird gemeinhin als Bestätigung gesehen und so auch, wie gerade erwähnt, von Demandt als Paradigma dafür angeführt, dass das Verständnis der Phrase für alle Belege im Neuen Testament festzuschreiben in der Lage ist. Die Lutherbibel überträgt Mt 26,25: „Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich's, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es.“Footnote 79 Angesichts der Tatsache, dass die Negation μή bzw. in Fragen (wie hier) auch μήτι die Antwort „Nein“ erwarten lässt,Footnote 80 darf und muss die Frage des Judas als Unschuldsbehauptung angesehen werden. Eine Bestätigung der Aussage des Judas würde folglich bedeuten, dass Jesus bestätigen würde, dass Judas ihn nicht (!) verraten wird. Dieses Textverständnis scheint angesichts von Mt 26,25a und angesichts des weiteren Verlaufs der Ereignisse als nicht mit der Erzählung kompatibel. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Phrase hier im Aorist begegnet (σὺ εἶπας). Auch dies scheint aus dem Zusammenhang her verständlich. In Mt 26,22 wird mittels des Distributivpronomens (ἤρξαντο λέγειν αὐτῷ εἷς ἕκαστος) deutlich gemacht, dass jeder der Jünger – also auch Judas – Jesus fragt, ob er es denn wirklich sein könne. Aber nur Judas stellt die rhetorische Frage zum zweiten Mal. Im Verein mit der forensischen Bedeutung der Phrase σὺ λέγεις ist somit hier folgendermaßen zu übertragen: „Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Ich doch wahrlich nicht, Rabbi? Er sprach zu ihm: Das hast du bereits behauptet.“Footnote 81
In der erzählten Welt bleibt angesichts dieser Übersetzung für die versammelten Jünger unklar, wer Jesus verraten wird. Jesus selbst macht – entgegen einer häufig zu findenden Auslegung dieser Stelle – hier keine Aussage darüber, wer ihn verraten wird. Vielmehr ist damit das letzte Abendmahl in der Version des Matthäusevangeliums überschattet von der Unsicherheit der versammelten Jünger, wer Jesus denn nun verraten wird. Damit ist natürlich auch verständlich, warum in der Rahmenerzählung die Information gegeben werden muss, dass es Judas war, der ihn verriet. Hier weiß der implizite Autor mehr als die Figuren in der erzählten Welt des Evangeliums: Die Jünger rätseln aufgrund Jesu Antwort an Judas, wer ihn verraten wird, während das Mahl weitergeht. Die Leser des Textes wissen, dass die Entscheidung bereits gefallen ist. Damit ist natürlich auch die Strafankündigung Jesu in Mt 26,24b–c (οὐαὶ δὲ τῷ ἀνθρώπῳ ἐκείνῳ δι᾿ οὗ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου παραδίδοται· καλὸν ἦν αὐτῷ εἰ οὐκ ἐγεννήθη ὁ ἄνθρωπος ἐκεῖνος) weitaus bedrohlicher, da keiner der Jünger weiß, wer gemeint ist. Das letzte Abendmahl war also bei diesem Verständnis von Sorge und Misstrauen überschattet, da jeder vom anderen annehmen konnte, dass es auch dieser sein könnte, welcher Jesus verraten würde. Im weiteren Verlauf der Geschichte ist dann auch deutlich, warum es eine einseitige Hervorhebung des Judas wäre, wenn hier sein Verrat in besonderer Weise hervorgehoben würde. Es sei nur auf den Dialog Jesu mit Petrus verwiesen. Auf die Beteuerung des Petrus, dass dieser standhaft bleiben werde, antwortet Jesus, dass Petrus ihn dreimal verleugnen werde (Mt 26,33–4).
3.2 Der Prozess Jesu
Für alle Verhöre Jesu – sei es vor Pilatus oder dem Synhedrion – gilt damit, dass Jesus klar und deutlich den erhobenen Vorwurf, er sei König der Juden, zurückweist. Es ist damit nur konsequent, dass Pilatus Jesus anschließend für unschuldig erklärt (Lk 23,4). Jesus weist also die gegen ihn gerichtete Anschuldigung, die eine laesio maiestatis bedeuten würde, unmissverständlich zurück. Somit hat Pilatus keinesfalls „einen erstaunlich ruhigen confessus neben sich stehen“.Footnote 82 Bezüglich der Befragung in Mt 26,64 wird man unter Verweis auf die Verwendung des Aorists im Dialog mit Judas festhalten dürfen, dass bereits in der vorangehenden Befragung Vorwürfe geäußert wurden. Die Tatsache, dass Jesus auf die Aufforderung des Hohepriesters, dass Jesus zu den Anschuldigungen Stellung nehmen solle, schweigt (Mt 26,62–3a), führt dazu, dass der Hohepriester Jesus unter Eid befragt (Mt 26,63). Dies bringt Jesus seinerseits dazu, die Anschuldigungen pauschal zurückzuweisen. Zu übersetzen wäre damit der Aorist in Mt 26,64 folgendermaßen: „Das hast du mir bereits mehrfach vorgeworfen.“ Damit wird für den impliziten Leser deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die inhaltlich nicht genau spezifizierten Anklagen, die der Hohepriester zitiert, mit dem Vorwurf des Hohepriesters, den Jesus unter Eid beantworten soll, identisch sind. Aus grammatikalischer Sicht handelt es sich hier wie auch bei der Frage des Judas um seinen sogenannten konstativen Aorist, der „gewöhnlich mit dem Perfekt“ übersetzt wird.Footnote 83
3.3 Die weiteren Belege
Für alle weiteren Belege gilt, dass eine eindeutige Zurückweisung der oftmals wörtlich zitierten Behauptung durch den Kontext impliziert ist. Damit bestätigen diese Belege das Verständnis der Wendung im forensischen Kontext.
4. Ergebnis
Mit der hier vorgelegten Untersuchung kann eine strittige Frage der neutestamentlichen Exegese – wie die Phrase σὺ λέγεις in unterschiedlichen Zusammenhängen des Neuen Testaments zu verstehen sei – aus philologischen Gründen eindeutig geklärt werden. Es handelt sich – gegen die Grammatik von Blass/Debrunner/Rehkopf – keinesfalls um die Bestätigung einer Aussage, die einfach mit „Ja“ übertragen werden kann. Vielmehr zeigt der forensische Kontext eines Belegs aus der Septuaginta, dass betont hervorgehoben wird, dass es sich um eine Behauptung handelt, deren Wahrheitsgehalt gerade nicht bestätigt wird. Eines ist auffällig und würde wohl tatsächlich einer weit grundsätzlicheren Untersuchung wert sein: Im Prozess Jesu verkehren sich die Rollen gegenüber der in der Septuaginta geschilderten Situation. Während in der Septuaginta der Richter im Rahmen der Untersuchung die Aussagen der beiden Klägerinnen mit der Phrase als von ihm zitiert einleitet, verwendet Jesus diese Phrase gegenüber den Vertretern des Synhedrion bzw. gegenüber Pilatus. Um es mit Ulrich Luz zu formulieren: „Die Fronten kehren sich also um, denn der angeklagte Jesus spricht als Menschensohn, als kommender Weltenherr und Weltrichter zu seinen menschlichen Richtern.“Footnote 84
Eine eher kurze Phrase und ihre semantische Analyse hat somit potentielle Auswirkungen auf eine der kontroversesten Fragen der neutestamentlichen Forschung: Jesus kann in der Frage einer potentiellen laesio maiestatis keinesfalls mehr als confessus betrachtet werden, da er den Vorwurf seiner Ankläger klar, eindeutig und unmissverständlich zurückweist. Diese Erkenntnis hat Auswirkungen auf die Interpretation des Prozesses Jesu. Dies zu untersuchen, würde den Rahmen der vorliegenden Ausführungen bei weitem sprengen.