No CrossRef data available.
Article contents
Faust und die Natur
Published online by Cambridge University Press: 02 December 2020
Extract
Auch dem oberflächlichen Leser muß es aufgefallen sein, daß Faust an entscheidenden Wendepunkten seines Lebens die Flucht in die Natur ergreift, um in ernster Zwiesprache mit ihr über sich selbst, sein Wollen und Tun klar zu werden. Ist doch die Natur für Faust wie für Goethe selbst ein geheimnisvoll lebendiges Wesen, das er wie ein Liebender in immer neuen Formen umwirbt. Im Gegensatz aber zur menschlichen Geliebten, welche die Schwächen des Mannes nur allzu gern übersieht, ist die Natur eine strenge Göttin, die alle seine Gebrechen schonungslos aufdeckt und jeden Versuch, sich ihrer Wahrheitsforderung zu entziehen, unbarmherzig bestraft. Der Mensch, der bei ihr Rat und Hilfe sucht, muß sich also bewußt sein, daß er eine richterliche Instanz anruft, gegen deren Urteilsspruch es keine irdische Berufung gibt. Die Bereitschaft, sich diesem Urteil zu unterwerfen und sein Leben in dessen Sinn auszurichten, ist dann der Gradmesser seines menschlichen Wertes, seiner reinen Menschlichkeit.
- Type
- Research Article
- Information
- Copyright
- Copyright © Modern Language Association of America, 1947
References
1 S. hierüber: G. W. Hertz, Goethes Naturphilosophie im Faust (Berlin, 1913) und desselben Verfassers Natur und Geist in Goethes Faust (Frankfurt a.M., 1931).—Die Zitate aus dem Werk selbst sind der Ausgabe von Robert Petsch in Meyers Klassiker-Ausgaben, zweite Ausgabe, Bibliographisches Institut (Leipzig, 1925), entnommen. Aus der endlosen Literatur wird nur das angeführt, worauf hier unmittelbar Bezug genommen wurde.
2 Bei Petsch, S. 563. Hauptstellen: I. Ideales Streben nach Einwirken und Einfühlen in die ganze Natur (mystisch-pantheistisch); ii. Lebensgenuß der Person von aussen ges (ucht oder gesehen?), i. Teil (sensualistisch-erotisch); iii. Tatengenuß nach außen und Genuß mit Bewußtsein. Schönheit; zweiter Teil (ästhetisch); iv. Schöpfungsgenuß von innen (sozial-ethisch); v. Epilog im Chaos auf dem Weg zur Hölle (religiös). Klammerbemerkungen vom Verfasser.
3 H. Rickert, Goethes Faust. Die dramatische Einheit der Dichtung (Tübingen, 1932), Schlußkapitel: Faust und Goethe, 531-537.
4 So auch: A. Frederking, “Das I. Faustparalipomenon und Fausts innere Entwicklung.” Euphorion, xxi (1915), 182-203.
5 Ueber die Geisterwelt im allgemeinen und ihre Funktion im Drama vgl.: R. Petsch, “Die Geisterwelt in Goethes Faust.” Jahrbuch des freien deutschen Hochslifis (Frankfurt a.M., 1927), 145-173.
6 Auf Ossian weisen besonders hin: G. Witkowski, Goethes Faust. 7. Auflage (Leipzig, 1923), n, 204; E. Traumann, Goethes Faust. Nach Entstehung und Inhalt erklärt. 2 Bde., (München, 1919), i, 218; vgl. dazu auch: Werthers Brief vom 12. Oktober.—M. Morris, “Swedenborg im Faust.” Goethe Studien, 2. Aufl. (Berlin, 1902), i, 13-41. Morris führt als Hauptquelle der gesamten Geisterwelt im Faust Swedenborgs Hauptwerk Arcana Coelestia, 1749 ff., an; F. Melzer, Goethes Faust. Eine evangelische Auslegung (Berlin, 1932) spricht vorsichtiger von “nordischer Stimmung,” 39.
7 H. Baumgart, Goethes Faust als einheitliche Dichtung erläutert (Königsberg, 1893), 1 196-209; K. Fischer, Goethes Faust. 7. Aufl. (Heidelberg, 1913), 4 Bde.; ii, 193; G. Wittkowski, a.a.O., 261; R. Petsch, a.a.O., 638; A. Bartscherer, Paracelsus, Paracelsisten und Goethes Faust. Eine Quellenstudie (Dortmund, 1911), I. Kapitel; “Die Magie in Goethes Faust.” 7-61; E. Traumann, a.a.O., 217; R. H. Grützmacher, Goethes Faust. Ein deutscher Mythus (Berlin, 1936), 35-37.
8 H. Rickert, a.a.O., 107-113; W. Böhm, Faust der Nichtfauslische (Halle, Saale, 1933).
9 L. Straub, Kurzgefaßter Führer durch Goethes Faustdichtung, i.u.n. Teil (Stuttgart, 1922); J. Bab, Faust. Das Werk des Goetheschen Lebens (Stuttgart, Berlin, Leipzig, 1926); Exp. Schmidt, Faust. Goethes Menschheitsdichtung (München, 1930); H. Hefele, Goethes Faust (Stuttgart, 1931).
10 S. Zitat aus Paracelsus' Philosophia occulta, angeführt von Bartscherer, a.a.O., 48.
11 a.a.O., Bd. ii, 193.
12 a.a.O., Bd. i, 217.
13 S. Bartscherer, a.a.O., 1-60.
14 S. Baumgart, a.a.O., 196-205.
15 Inbezug auf den Makrokosmos weisen z.B. C. Thomas in seiner Faustausgabe (Boston, New York, Chicago, 1892), S. 257 hauptsächlich auf Wellings Opus Mago-Cabbalislicum, Witkowski, a.a.O., 205 auf F. M. van Heimonds Paradoxal-Discurse oder Ungemeine Meinungen von dem Macrocosmo und Microcosmo (deutsch, Hamburg 1691), Baumgart a.a.O. 195-205, auf Spinoza und Rickert, a.a.O. S.l 14 auf Giordano Bruno hin, doch lassen alle, außer Baumgart, andere Einflüsse zu. Einseitigere Versuche in dieser Richtung wurden für den Erdgeist unternommen von: M. Morris, a.a.O. (Swedenborg), J. Goebel, “Goethes Quelle für die Erdgeistszene.” J.E.G.Ph., 1909, 1-27 (Plotin-Jamblichus), Bartscherer, a.a.O., besonders II. Kapitel, Die Dämonologie in Goethes Faust, 61-144 (Paracelsus), J. Richter,“ Zur Frage nach der Herkunft des Erdgeistes in Goethes Faust.” Zs.f.dt.U., 1918, 407-423 (Plotin-Kabbala). P. Graffunder, “Der Erdgeist und Mephisto in Goethes Faust.” Preuss. Jahrb., Bd. 68, 700-725 dehnt Düntzers Hinweis auf den Archäus der orphischen Lehre und den die Elemente trennenden archeus terrae des Paracelsus auf Agrippa, Bruno, Basilius und Valentinus aus. Zu Goethe und Plotin vgl. das grundlegende Werk von E. Koch, Goethe und Plotin. Leipzig, 1925. Schöner Ausgleich der widersprechenden Meinungen bei Traumann, a.a.O., Bd. i, 224-229.
16 Vgl. hierzu Goethes Darstellung seiner eigenen Religion am Ende des achten Buches von Dichtung und Wahrheit, 217-222, W. A.
17 Der Ausdruck “gedoppelte Substanz” bei Traumann, a.a.O., Bd. i, 226.
18 Traumann, a.a.O., 222.
19 S. Petschs Ausgabe des Spießschen Volksbuches, 2. Aufl. Halle a. S. (1911), 19.
20 So die meisten Fausterklärer.
21 So Traumann, a.a.O., 336 und G. Witkowski, “Der Erdgeistim Faust. Gespräch zweier Goethefreunde.” G. Jb. xvii (1896), 122-137.
22 So H. Rickert, “Der Erdgeist in Goethes Faust und die Erdgeisthypothese.” Jb. d. f. dt. Es, (Frankfurt a.M., 1930, 91-130; Ders., a.a.O., Kapitel: Mephistopkeles und der Erdgeist (Eine Abschweifung), 239-253. Vgl. auch die schöne Stelle über Goethes Flucht in die Wälder und das Erhabene von Dämmerung und Nacht in Dichtung und Wahrheit, 6. Buch, 13 und 15, W.A.
23 S. Verse 3278-3280: Verstehst du, was für neue Lebenskraft mir dieser Wandel in der Öde schafft?
24 S. Eckermanns Gespräche mit Goethe, hg. von H. H. Houben (Leipzig, 1925), 400, auch Goethes Ankündigung zur Helena vom 17. Dezember, 1826 und 10. Juni, 1826, Paralip. 105, a.a.O., 594. 602, Paralip. i, a.a.O.
25 Besonders stark wird diese erzieherische Tendenz hervorgehoben von H. H. Borcherdt in seiner Abhandlung: “Die Mummenschanz im zweiten Teil des Faust. Versuch einer Deutung.” Vjs. d. Goethe Gesellsch, i, 41 (1936) 289-306, die die Kritik Gundolfs, daß diese Szene “eine unabhängige, nur lose mit dem Anlaß verknüpfte Einlage” (Goethe, 760) sei, zu entkräften versucht.
26 Kritische Übersicht der wichtigsten einschlägigen Literatur bei Petsch, a.a.O., 675-678; sehr gute, zusammenfassende Darstellung über Herkunft und Bedeutung des Homunculus bei Witkowski, Kommentar, 312-316; zur Herkunft vgl. weiter: K. Borinski, “Zur Herkunft des Homunculus.” Jb. d. G. Ges., 1930, 16-32; zur Deutung: L. Polak, “Homunculus-Figur in Goethes Faust.” Neophilologus, xiii (1930), 16-32; W. Schneider, “Homunculus.” Jb. d. G. Ges. (1930), 224-230; R. G. Binding, “Mephistopheles und Homunculus.” G. Kalender (1937), 47-62.
27 Sollte der unschuldige Eckermann das schon herausgefühlt haben, wenn er a.a.O., 298 sagt: “Indem der Homunculus diesen Traum ausspricht, erscheint vor unserer Seele das reizendste Bild?”
28 S. Ankündigung zur Helena vom 17. Dezember, 1826, bei Petsch a.a.O., 601, aber auch Goethes Bemerkung zu Eckermann vom 15. Januar, 1827, a.a.O., 162.
29 Vgl. insbesondere Briefe an: W. v. Humboldt, 22. Oktober, 1826; S. Boisserée, 22. Oktober, 1826; Cotta, 26. Januar, 1827; Zelter, Mitte Mai, 1831; H. Meyer, 20. Juli, 1831.
30 Im vierten Band der Ausgabe letzter Hand.
31 Vgl.: Goethes Brief an Boisserée vom 19. Januar, 1827: “Sie gelangen dadurch unmittelbar bis zu der Axe, auf der das ganze Stück dreht.”
32 Über den musikalischen Charakter der Helenatragödie und die klangliche Abstufung der Personen siehe Goethes Bemerkung zu Eckermann vom 29. Jan., 1827: “Die Rolle der Helena kann nicht von einer sondern sie muß von zwei großen Künstlerinnen gespielt werden” (a.a.O., 177) und: “Wenn nur ein recht großer Komponist sich daran machte” (ebda.). Das Feinste hierüber sagt K. Burdach in den drei ersten Abschnitten seines herrlichen Aufsatzes “Faust und die Sorge,” Dt. Vjs.f. Lw. u. Gge., i. Jahrg., Bd. i, 1-60, und H. Herrmann in ihrer allerdings etwas wortreichen Studie “Faust, der Tragödie zweiter Teil: Studien zur inneren Form des Werkes.” Zs. f. Ästhetik u. Allgemeine Kunstwissenschaft, xii (1917), 86-137; 161-178; 316-351. Siehe auch: J. Collin, “Die Mittel der dichterischen Darstellung im zweiten Teil von Goethes Faust.” Jb. d. f. dt. Hs., 1905, 247-263; R. Petsch, “Goethes Faust. Der Tragödie zweiter Teil.” Gehalt und Form (Dortmund, 1925), 388-405; M. Kommerell, “Faust zweiter Teil, zum Verständnis der Form,” Corona, vu (1937), 207-232 und 388-405.
33 Vgl.: M. Bressem, “Der metrische Aufbau des Faust II und seine innere Notwendigkeit.” Germanische Studien, Heft 105, 1931.
34 Zur Geschichte der Helenadichtung vgl.: A. Wohlauer, Goethes Helenadichtung in ihrer Entwicklung (Breslau, 1903); zur Deutung: J. Niejahr, “Goethes Helena,” Euphorion, I (1894), 81-109 und insbesondere: H. Rickert, “Helena in Goethes Faust.” Die Akademie, Heft 4 (1925), 1-62, Sonderdruck Erlangen, o.J.
35 K. Ziegler, Gedanken über Faust II (Stuttgart, 1919), spricht S. 30 von “französischer Rokokogalanterie,” nennt Helena S. 33 eine “echte Rokokodame” und S. 34 “die große Kurtisane, die fürstliche Maitresse des 18. Jahrhunderts.” Wir legen Wert darauf festzustellen, daß dieses scharfsinnige Büchlein (75 Seiten) uns erst nach dem Abschluß dieser Arbeit zu Gesicht kam. Es bestätigt unsere Auffassung im allgemeinen und vielen Einzelpunkten, stellenweise sogar mit ganz ähnlichen Formulierungen.
36 Da das Peinliche dieses übernaiven Gebahrens Fausts und Helenas der obligaten Verschönerungsmanie im Wege ist, wird es von den meisten Fausterklärern entweder übergangen oder seines erotischen Charakters völlig entkleidet. Am weitesten geht hierin wohl der Franziskanermönch Exp. Schmidt (dessen Faustkommentar im übrigen sehr verständnisvoll ist), wenn er(S. 182) sagt, daß “die sinnliche Erotik” “hier vollständig” fehle und daß Mephisto dem “schlafend verteilten” Chor das “Wunderbare” berichtet, “das sie gesehen.” Sein Zusatz: “Alle natürliche Berechnung hat hier ein Ende, was allein schon jeden Gedanken an einen im Bereiche des Sinnlichen vollzogenen Ehebund ausschließen muß,” macht diesen Galimathias nicht besser.
37 Das Problematische der Goetheschen Klassik hat schon F. Th. Vischer, Goethes Faust. Neue Beiträge zur Kritik des Gedichtes (Stuttgart, 1875), 85, erkannt. In den letzten Jahren ist es wieder der Gegenstand lebhafter Kontroversen geworden. Vgl.: E. M. Butler, The Tyranny of Greece over Germany (Cambridge, 1935); W. Rehm, Griechentum und Goethezeit (Jena, 1936), 2. Aufl., 1938; H. Trevelyan, Goethe and the Greeks (Cambridge, 1941); E. Jockers, Soziale Polarität in Goethes Klassik (Philadelphia, 1942).
38 Die von Goethe Eckermann gegenüber (a.a.O., 302) behauptete Identität des Euphorion mit dem Knaben Lenker widerspricht dem nicht, denn Goethe hat dort nur die Poesie als solche im Auge, “die an keine Zeit, an keinen Ort und an keine Person gebunden ist,” nicht den verschiedenen Charakter ihrer Träger. Der Knabe Lenker gehört der kontemplativen Seite Fausts an. Er ist reine, ruhm- und tatlose Betrachtung und Spielfreude.. Euphorion repräsentiert die Willensseele Fausts. Beide also sind dichterische Symbole von Fausts Dualismus und machen erst zusammen sein ganzes Wesen aus. Es ist aber bezeichnend, daß der Knabe Lenker verabschiedet wurde, weil ihm das “tolle Zauberwesen” der Mummenschanz zuwider sein mußte, während Euphorion sogar noch nach seinem ikarischen Tode alles beherrscht. Rickert (Helena in Goethes Faust, 45) sieht in Euphorion allein die “Doppelnatur” Fausts.
39 S. H. Borcherdt, a.a.O.
40 Der Hinweis W. Böhms (a.a.O., 54 und 55) auf Lili Schönemann ist beachtenswert und verdient untersucht zu werden.
41 Th. Zieglers Urteil (A. Bielschowsky, Goethe, II. Bd., 42. Aufl. [München, 1903], 661) ist u. E. nicht zu hart.
42 S. Ankündigung, Petsch, 594.