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Erlebte Rede in Goethes Wahlverwandtschaften

Published online by Cambridge University Press:  01 December 2020

Ludwig W. Kahn*
Affiliation:
Columbia University, New York, New York

Abstract

Die Wahlverwandtschaften is an early example of the sustained and systematic use of “erlebte Rede.” This fact has remained generally unrecognized to the detriment of a correct reading. It is of paramount importance to know whether Goethe or a narrator speaks with authorial authority, or whether a narrator draws back the curtain to let us overhear the preformulated, groping mediations of one of the characters. By its very nature, “erlebte Rede” is ambiguous, multileveled, hovering between objective assertion and subjective consciousness. By using “erlebte Rede” the narrator does not withdraw behind his characters (contrary to some critics); he is often present as an ironic artist who manipulates and “exhibits” his characters. By revealing subjectivity as subjectivity, the narrator, in a sense, reestablishes an ironic objectivity. (In German)

Type
Research Article
Information
PMLA , Volume 89 , Issue 2 , March 1974 , pp. 268 - 277
Copyright
Copyright © Modern Language Association of America, 1974

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References

Note 1 in page 276 Eine systematische Darstellung mit reichen Litera-turangaben findet sich bei Werner Hoffmeister, Studien zur erlebten Rede bei Thomas Mann und Robert Musi!, Studies in German Literature, No. 2 (The Hague: Mouton, 1965).

Note 2 in page 276 Thomas Mann, Buddenbrooks, 139. bis 145. Auflage (Berlin: Fischer, 1923), IT, 439.

Note 3 in page 276 Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, 19. bis 24. Auflage (Berlin: Fischer, 1922), S. 613: “Er, durch dessen Erlebnis die Schule erscheint, und zwar als skurril, quälend, stumpfsinnig, abscheulich erscheint, ist im Grunde weit entfernt, sein Erlebnis und Empfindungsurteil fur allgemein gültig und mafigebend zu halten.” Weiter unten zitiert als Betrachtungen.

Note 4 in page 276 Fur Kate Hamburger, Die Logik der Dichlung (Stuttgart: Klett, 1957), ist gerade die erlebte Rede ein Beweis, dafi in der epischen Erzählung das Präteritum keinen Vergangenheitswert besitzt, daß jedes fiktionale Erzählen (und eben nicht nur die erlebte Rede) aus der Perspektive der Romanfigur gesehen ist, daß bei jedem fiktionalen Erzählen der Erzähler als Beziehungspunkt (als Ich-Origo) verschwindet.

Note 5 in page 276 Wolfgang Kayser, Entstehung und Krise des modernen Romans, vierte Auflage (Stuttgart: Metzler, 1963), S. 32–33.

Note 6 in page 276 Dorrit Cohn, “Narrated Monologue, Definition of a Fictional Style,” CL, 13 (1966), 97–112. Das Zitat auf S. 110–11.

Note 7 in page 276 Worte, die Thomas Mann gebraucht, um die Redeweise Kais und Hannos zu kennzeichnen (Buddenbrooks, ii, 432).

Note 8 in page 276 Ausführlich wird das Problem des Erzählers in den Wahlverwandtschaften behandelt von Paul Stocklein, Wege zum späten Goethe, zweite Auflage (Hamburg. Schröder, 1960) S. 10 ff. Fur H. G. Barnes, Goethe's “Die Wahlverwandtschaften” (Oxford: Clarendon, 1967), ist der Erzähler nicht nur gegenwärtig, sondern auch noch vorein-genommen und tendenzios, und seine irreführende oder zumindest einseitige Darbietung bedarf der Korrektur, damit der wahre und geheime Sinn des Romans verstanden werden kann. Siehe auch: Gerwin Marahrens, “Narrator and Narrative in Goethe's Die Wahlverwandtschaften,” in Essays on German Literature in Honor of G. Joyce Halla-more, ed. Michael S. Batts and M. G. Stankiewicz (Toronto: Univ. of Toronto Press, 1968), S. 94–127.

Note 9 in page 276 Zitate nach dem Text der Hamburger Ausgabe, herausgegeben von E. Trunz, Bd. 6 (Hamburg: Wegner, 1951). Gelegentliche Hervorhebungen sind von uns hinzu-gefügt. Verweise in Klammern geben Teil und Kapitel an

Note 10 in page 276 Auf dieses “leider” hatte schon Käte Friedemann hingewiesen in Die Rolle des Erzählers in der Epik (1910; Nachdruck Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesell-schaft, 1965), S. 41.

Note 11 in page 276 H. G. Barnes, Goethe's “Die Wahlverwandtschaften,” S. 114: “There is, however, a contradiction in the narrator's explanation: ‘Doch dies hätte er unter keiner Bedin-gung getan . . . ‘.” Barnes schreibt also dem Erzähler zu, was Eduards erlebte Rede ist, und dann beschuldigt er den Erzähler der Verfälschung von Eduards Motiven !

Note 12 in page 276 Emil Staiger, Goethe (Zurich: Atlantis, 1956), ii, 482, sieht in dieser Stelle einmal Goethes eigne Meinung. Doch fügt er gleich hinzu: “Oder soil auch dieser Zusatz nur Charlottes Gedanken umschreiben ?”

Note 13 in page 276 Erlebte Rede Ottiliens ist es auch, wenn es beim Eintreffen des Gehulfen heifit: “Wie vieles war begegnet, seitdem sie die Stimme dieses treuen Lehrers nicht vernom-men!” (11, 6).

Note 14 in page 277 Zum Problem der Glaubwürdigkeit des Erzählers vgl. Wayne C. Booth, The Rhetoric of Fiction (Chicago: Univ. of Chicago Press, 1961), S. 159: '“Unreliable narrators thus differ markedly … ; the older term 'tone,' like the currently fashionable terms 'irony' and ‘distance,‘ covers many effects …” Zur Ironie siehe weiter unten.

Note 15 in page 277 Oskar Walzel, “Von ‘erlebter’ Rede,” in Das Wort-kunstwerk (Leipzig: Quelle und Meyer, 1926), S. 207–30. Der Hinweis auf Werther findet sich auf S. 217. Aus Werther ließen sich leicht weitere Beispiele erbringen. Vollkommen unbeachtet geblieben, soweit ich sehen kann, ist Walzels Bemerkung, Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters (Potsdam: Athenaion, 1929), S. 381: “In den Wahlverwandtschaften findet sie [erlebte Rede] sich zuweilen.”

Note 16 in page 277 Die Beispiele aus den Lehrjahren lassen sich leicht vermehren. Vgl. Hamburger Ausgabe. vii, 34: “Ach! wenn nur nicht manchmal die kalte Hand des Vorwurfs ihr über das Herz gefahren ware!” Oder vii, 472: “Wilhelm sah den Knaben … an ; er durfte sich das Kind noch nicht zueignen.”

Note 17 in page 277 Wirklichkeit und Illusion, zweite Auflage (Tubingen: Niemeyer, 1966), S. 294.

Note 18 in page 277 Georg Lukacs, Die Theorie des Romans, erste Auflage 1920; wir zitieren nach der dritten Auflage (Neuwied: Luchterhand, 1965), S. 90. Es war die Pionierleistung von Lukacs, im AnschluC an Friedrich Schlegel auf die “Selbsterkenntnis und damit Selbstaufhebung der Subjektivität” durch die Ironie (S. 73) und auf die “Ironie als Gestaltungs-faktor” bei Goethe (S. 142) hingewiesen zu haben. So nähern wir uns auf anderem Weg der Ansicht Brinkmanns über Goethes “Objektivität.” Siehe auch Hans-Egon Hass, “De l'Ironie chez Goethe,” EG, 22 (1967), 26–39. Hass sieht wohl mit Redit in der Ironie nicht nur ein Stilmittel, sondern eine Welthaltung. Vom marxistischen Standpunkt sieht Hans Jürgen Geerdts Goethes Ironie als ein gese/l-schaftskritisches Mittel (“Eigenarten der sprachlichen Ge-staltung in Goethes Wahlverwandtschaften” WB, 3, 1957, 487–508). Josef Kunz, Die deutsche Novelle zwischen Klassik und Romantik (Berlin: Erich Schmidt. 1966). S. 36, findet, “daß auch die für die Erzahlhaltung … so wichtige Stilform der Ironie eine der Möglichkeiten ist, um die Figur des Erzählers herauszuheben,” und daß besonders beim späteren Goethe “die Norm des ironisch-kritischen Ver-haltens in viel starkerem Maße explizit gemacht ist.” Ùbereinstimmend mit unserer Auffassung weist Ehrhard Bahr (“ . . . diese sehr ernsten Scherze . . ., ” Goethe, 31, 1969, 157–73) darauf hin, dafê Goethes Ironie die Aussage schwebend und vieldeutig halt: “Bei Goethe handelt es sich nicht urn eine ironie qui sait, sondern um eine ironie qui cherche (Zitat auf S. 159). Herman Meyer (Diese sehr ernsten Scherze, Heidelberg: Stiehm, 1970) findet in Goethes Aussageweise eine ”scherzhafte“ mehrfache Optik, die statt eines festen Standpunkts oft ein non liquet zuläßt, also eine Offenheit, die sich mit dem beruhrt, was wir in anderem Zusammenhang als Ironie bezeichneten.