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Die Kunst des Übergangs bei la Fontaine
Published online by Cambridge University Press: 02 December 2020
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Ce La Fontaine qu'on donne à lire aux enfants ne se goûte jamais si bien qu' après la quarantaine …. Sainte-Beuve.
… ce style
Tout oublié qui fut jadis si doux,
Et qu'aujourd'hui l'on croit facile—Musset
Ubrich Knoche in seinem schönen Artikel “Betrachtungen über Horazens Kunst der satirischen Gesprächsführung” (Philologus, xc [1936], S.373 ff.) zeigt, von demhorazischen Präzept ausgehend:
Non satis est pulchra esse poemata: dulcia sunto
et quocumque volent animum auditoris agunto,
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- Research Article
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- Copyright © Modern Language Association of America, 1938
References
1 Angesichts von Stellen wie iii/1, V. 7 Je t'en veux dire un trait assez bien inventé, auf die Erzählung “Le meunier, son fils et l'âne” bezüglich, könnte allerdings auch die Stofferfindung gemeint sein, vgl. vi/1:
2 Hat man schon genügend hervorgehoben, dass La Font.'s Dichtungsauffassung: Une ample comédie à cent actes divers, Et dont la scéne est l'Univers den Übergang bildet und formuliert zwischen dem mittelalterlichen Mystère als dramatischer Weltdichtung und der Balzac'schen comédie humaine, der vom Drama nur den Titel entlehnenden Menschheitssatire, dass aber La Font, den kosmischen Bezug bestehen lässt (oder vielmehr: ein pantheistisches Weltgefühl einsetzt), anderseits die Zerlegung des Universums in kleine Guckkastenbildchen entsprechend der Romantheorie des 17. und 18. Jhs. vorbereitet (das was A. Langen, “Anschauungsformen in der deutschen Dichtung des 18. jhs.” [1934], “Rahmenschau” nennt, die dem Rationalismus zu verdanken sei)? Guy de Pourtalès, in dem Aufsatz “Annotations aux marges d'un La Fontaine’ (in De Hamlet à Swann, S. 65) betont bloss die Verwendung des Terminus ”Komödie“ bei einem Fabeldichter gegenüber der antiken Einreihung der Fabel in die Rhetorik oder die Philosophie. Klemperer regt sich über Sainte-Beuves Bezeichnung La Font.'s als den Homer der Franzosen auf—aber Sainte-Beuve hat doch wohl seine Ansicht gerechtfertigt (Lundis vii, S. 25) durch den Hinweis auf das in Frankreich nötige Kleinkunstformat: ”En France où les grandes conceptions poétiques fatiguent aisément… on demande surtout aux poètes ce genre d'imagination et de fertilité qui n'occupe que peu d'instants.“
3 Taine hat dasselbe gefühlt; er sagt von Rabelais: “l'imagination déborde et noie l'esprit,” von La Font.: er habe “le milieu entre la sécheresse et l'abondance, entre la rareté et l'entassement des détails” gefunden. Nur lässt sich Taine zu einer normativen Höherwertung des neueren Dichters verleiten, statt die Verschiedenheit des Kunstwollens zweier verschiedener Jahrhunderte und zweier künstlerischer Temperamente vorurteilslos historisch zu begreifen.
4 La Font, liebt solche Aufzählungen, weil sie zu seinem Bild von der Unordnung und launenhaften Ungereimtheit des Welttreibens passen, vgl. vii/15:
5 Bei Rabelais ist Juppiter überbeschäftigt und greift nur ein, um Ruhe zu haben: (Livre iv, Prolog): “Quel diable, demande Jupiter, est là bas qui hurle si horrifiquement? Vertus de Styx, n'avons nous pas cy devant esté, presentement ne sommes nous assez ici à la decision empeschés de tant d'affaires controvers et d'importance? … Vrayement, dist Jupiter, nous en sommes bien. Nous à ceste heure n'avons autre faciende que rendre coign ées perdues? … Ça, ça, que cette coignée soit rendue. Qu'il n'en soit plus parlé. Resoulvons le différent du clergé et de la taulpeterie de Landerousse. Où en estions nous?” Rabelais lässt die Menschendinge vom Götterstandpunkt aus betrachten, in ihrer Kleinheit und Nebensächlichkeit (die Exkurse der Götterreden beweisen sie), wobei seine Götter zugleich Renaissancehelden und Götterkarikaturen sind. Juppiter gibt Merkur den Auftrag, den Couillatris (!) zwischen drei verschiedenen Äxten wählen zu lassen. So ist dann alles Geschehende von einer launischen Götterwelt aus gelenkt. Die Spannung besteht bei Rabelais, dem kosmisch Denkenden, darin: was wird der Mensch tun? Bei La Font., dem auf der Erde stehenden: was die Gottheit?
6 Man wird bei dieser Gestaltung des Narzissmotivs an die Nietzsche'sche erinnert, die Pfandl in seiner Abhandlung über den “Narzissbegriff” (Imago, 21, S. 286) zitiert:
La Font, hat die Verwandtschaft von Narzissmus und Reflexion, der reflektierenden Kritik des Menschen überhaupt, geahnt.—Kein Wunder, dass die Spiegel in modisch- preziöser Sprach- und Sachgestalt erscheinen:
während das Kunstwerk des Moralisten mit einem Naturding (genauer: einem Menschenwerk, das Naturschönheit besitzt: einem Kanal) verglichen wird. Schein und Wahrheit sind kontrastiert durch Modeflimmer und Naturklarheit.—
Ich habe vor Jahren einem nicht besonders begabten Lehramtskandidaten als Thema gegeben: “Der Spiegel bei La Fontaine”—er legte die Arbeit zurück, weil er ausser unserer Fabel “nichts gefunden” hätte. Ich war mir bei der Stellung dieses Themas klar gewesen, dass ein fast manisch erlebtes Motiv nicht einmal bloss bei La Fontaine vorkommen könne. Und so ist es denn auch: man muss nur das Spiegelmotiv nicht zu eng, rein materiell fassen, sondern die zahlreichen Spiegelungen, der Moral in der Fabelerzählung und umgekehrt, die Pendantwirkung von Doppelfabeln, die Echofabeln wie “Le coq et la perle” (Echo ist das akustische Spiegelbild, daher Echo und Narziss von der Sage gern verknüpft werden), usw. einbegriffen. La Font, hat eine Freude am Reflektieren (in doppeltem Sinn): er ist und stimmt nachdenklich; wie er selbst in dem oben erwähnten “art poétique” sagt:
Die antithetischen Bilder erhellen sich gegenseitig, und schon bei La Font., vor V. Hugo, ist Antithese (oder Polarität) echt französische Stellvertretung der Fülle des Universums.
Interessant ist in unserer Fabel, dass der Spiegel, der barocker Kunst als Mittel der moralischen Belehrung, der Rückkehr in se ipsum, der Abkehr von der Welt zu dienen pflegte, Selbstwert bekommt als schöner Spiegel, dass also, echt lafontainisch, die Moralisierung ästhetisch gestützt wird. Avis au lecteur—moralisateur! La Font, verwendete nicht das Ästhetische im Dienste der Moral, sondern die Moral im Dienste der Ästhetik. Man kann annehmen, dass er, was er an La Rochefoucauld rühmte, die Schönheit des Sittenspiegels, auch für sein eigenes Fabelwerk als Ideal empfindet. Dass La Font.'s ausdrückliche gegenteilige Versicherung (vi/1: “Une morale nue apporte de l'ennui. Le conte fait passer le précepte avec lui: En ces sortes de feinte il-faut instruire et plaire, Et conter pour conter me semble peu d'affaire”) nicht ernst zu nehmen ist, haben die Kritiker schon öfters gesagt, vgl. Gr. écr. ii, S. 2 (zu vi/1).—Wieso kommt M. Cordemann in ihrer höchst schülerhaft voreingenommenen Münchener Diss. (1917) “Der Umschwung der Kunst zwischen der ersten und zweiten Fabelsammlung La Fontaines” dazu, S. 39 von der ersten Sammlung (den ersten 6 Büchern) “festzustellen, dass die Moral sichtbar abgegliedert bleibt, als ein besonderer Teil neben der Erzählung. Was sonst noch an reflektierenden Elementen vorhanden ist, das kristallisiert sich an die Moral”? Solche Fehlgriffe erklären sich aus der atomisierenden Betrachtung der Fabeln, deren Schädlichkeit ich im Laufe dieses Aufsatzes noch besonders betonen werde.
7 Chamfort schreibt: “Cette fable est charmante jusqu‘à l'endroit Adieu veau, vache, etc…. Quelques gens de goût ont blâmé, avec raison, ce me semble, la femme En grand danger d‘être battue, Le récit qui en fut fait en farce; tout cela est froid; mais La Fontaine, après cette petite chute, se relève bien vite.” Die Gefahr der Schläge ist die Wirklichkeit nach dem Traum; die Erwähnung der Behandlung in der Farce ist notwendig wegen der stilistischen Festlegung, ferner um pot au lait als Titel wiederholen zu können, endlich als Vordeutung auf andere literarische Verkörperungen desselben Menschentypus: Picrochole, Pyrrhus.
8 Z.B. während das Tier mit dem langen Hals, langen Schnabel, den langen Füssen je ne sais où, sinnlos, ziellos, auf lokal gesehener Wanderung befindlich ist, wandert die Preziöse auf der Zeitstrecke, ohne au temps échapper zu können (das zeitliche Nacheinander ist ausführlich markiert: V. 26–36, also 10 Verse, mit bedeutender Unterstreichung der Allmählichkeit des körperlichen Verfalls, wie vorher die Fülle der Freierabweisungen gegenüber den zwei Ablehnungen des Reihers auffiel—la fille sündigt gegen ihr der Zeitlichkeit unterworfenes Lebensgesetz, eine primitive Dreistufigkeit wie in der Löwe-Ballade “Jungfräulein Annika” wäre bei der Preziösen nicht am Platze). Das je ne sais où der 1. Zeile, scheinbar der Erzählerlaune entstammend (vgl. etwa den Quijote-Beginn En un lugar de la Mancha de cuyo nombre no quiero acordarme), wird für den Leser, der die ganze Fabel auf sich wirken lässt, zu einem Sinnbild der Ziellosigkeit,—Quijotehaftigkeit dieses preziösen und hageren chevalier errant. Cordemann behauptet also zu Unrecht, die Reiherfabel zeige keinen Gegenspieler, sondern nur'einseitiges Spiel.' Die Zeit ist der Gegenspieler sowohl der Preziösen wie des Reihers—der methodische Fehler bestand in der Trennung der beiden Fabeln.
9 Ähnlich etwa in i/22, 5/6:
gewiss wirkt diese Weitung des Blickes auf mehrfache Unendlichkeit höchst stimmungsvoll, aber nichts ist bei La Font, lyrisch-expansiv, sondern alles konstruktiv-berechnet und psychologisch belangvoll. Faguet hat Unrecht (S. 319), wenn er diese lyrischen Verse im Munde eines “homme robuste” wie der Eiche nicht am Platze findet: die Eiche mimt Verzweiflung über die Unmöglichkeit eines Schutzes für eine Pflanze, die so ganz unwahrscheinlich weit vom Horizont der Eiche entfernt ist. Diese rhetorische Verzweiflung, die von der gefühltesten Lyrik ihre Akzente borgt, ist eben deshalb komisch, weil das Schilf ja in einer poetischen Umgebung wächst, die die Eiche nur als “Ungerechtigkeit der Natur” empfinden kann. Der lyrische Ausdruck in V. 16 ist ein Übergang zu La nature envers vous me semble bien injuste.—La Font, ist Meister in ironisch-lyrischen Landschaftsbildern, vgl. vii/16 “Elle (la belette) porta chez lui (le lapin) ses pénates, un jour Qu'il étoit allé faire à l'Aurore sa cour Parmi le thym et la rosée.” Das klingt recht morgentaufrisch, ist aber auch Überleitung zu dem nächsten Vers: “Après qu'il eut brouté, trotté, fait tous ses tours …” und ironisches In-Sicherheit-Wiegen des Hasen, dessen Höhle unterdessen vom Wiesel besetzt wird. Rudler, L'explication française S. 75 hat bloss den metrischen Anschluss ans Vorherige betont: “On voit que ce vers délicieux n'a pour ainsi dire pas d'individualité: il n'est que le résumé mélodique des précédents, et par suite il en arrête et ferme le système” (Wiederaufnahme der Reime matin und aisée, rusée).—Ein anderer Fall, wo wir einen Vers als eminent poetisch empfinden, den La Font, sicherlich sarkastisch gemeint hat, findet sich ii/13:
Das ist als ironische Ad-absurdum-Führung gemeint, wirkt jedoch heute durch seine der romantischen und nachromantischen Dichtung entsprechenden Entgrenzung, vgl. auch das Geschick des Racine-Verses Dans l'Orient desert quel devint mon ennui? Zugleich beachte man wie sich an Gottes “Busen” die “Schleier” anschliessen, und wie die Assoziation Nacht-Busen-Schleier mit Stemenglanz-Stirn-Enthüllung kontrastiert.
Bemerkenswert ist, dass bei La Font, oft Poesie sich gerade an den Übergangs- und Bruchstellen ansiedelt und konstruktive Elemente verschönt. H. Heiss hat (Dtsch-Vierteljahrsschrift 10, 654) Abstriche an dem Naturgefühl La Font.'s gemacht: die Gärten sind nach ihm (viii/10) schön,“ … mais je voudrais parmi quelque doux et discret ami”— aber auch diese negative Bemerkung über die Natur an sich ist nur eine “Überleitung” zwischen der Fabel vom Bärendienst und dem Thema der Einsamkeit in der Natur, die Bär und Mensch zusammengeführt hat!
10 Es ist hier anzumerken, dass die erlebte Rede manchmal noch nicht ihre abgesonderte Rolle wie bei Flaubert und Zola hat, also gleichsam ein Redestück ohne Anführungszeichen wird, sondern noch in sanftem Übergang aus objektiver Rede auftaucht und wieder in sie zurückkehrt: La Font, hat in solchen Fällen die menschliche Stimme nur vorübergehend an- und abklingen lassen: die “verschleierte” Rede in c‘étoit ceci, c‘étoit cela ist noch zweideutig (objektiv? subjektiv?)—Zweifellos ist für die Erklärung dieser Redeweise von solchen Fällen auszugehen, vgl. Verf. G.R.M. 16,327. Daher die unter Syntaktikern berühmte Stelle in “La mort et le bûcheron” (i/16):
wo die erlebte Rede, die doch offenbar mit corvée! schliessen müsste, suaviter in die objektive Erzählweise einmündet. Man hebt mit Taine in solchen Fällen immer die Einfühlsamkeit des Dichters in seine Figuren hervor—man achte aber doch auch auf die Diskretion in den Übergängen von Autor- zu Figurensprache: es zeigt sich darin ein ganz anderer Stilwille als bei den Neueren, wo der Dichter in seinen Figuren auf geht. La Font, geht in seine Figuren ein, und kehrt wieder zu sich selbst, dem Erzähler, zurück. Man vergleiche die Stelle in vii/1:
Man hört den falschen Juristen, den Wolf, auf den armen Esel in seiner Anklagerede schimpfen, man hört seine geifernde Stimme—jedoch das d'où venoit tout leur mal verbreitet einen Schein von Objektivität über seine Rede, mit sa peccadille … kehrt der Dichter wieder in die objektive Rede zurück, die Stimme des Wolfes ist verklungen (ganz falsch bei Cordemann beurteilt, S. 79 ff., die die direkte Rede vermisst).—Immerhin sei nicht geleugnet, dass auch die moderne Spielart sich in der 2. Fabelsammlung entwickelt; man vergleiche die Beispiele bei Marguerite Lips, Le style indirect libre.
Für vii/9 “Le coche et la mouche”: hat Vossler hübsch S. 154 ff. das “Mückenseitige,” Egozentrische in der erlebten Rede geschildert, besonders in den pseudoobjektiven Feststellungen:
aber leider den Höhepunkt nicht erwähnt, den Vorwurf, den sie, die überflüssige Fliege— warum übersetzt V. immer “Mücke” statt “Fliege” oder noch richtiger “Bremse”?—den arbeitenden Pferden macht, und der in direkter Rede, der einzigen objektiv hörbaren in der Fabel, gegeben wird:
Alles Vorherige war bloss psychische Aktivität im Innern der Fliege, nun spricht sie— aber auch noch nicht recht zu Partnern, die davon Notiz nehmen. Die direkte Rede ist deutlich der Kulminationspunkt der egozentrischen Verbohrtheit und Falscheinschätzung der Realität, das Heraustreten des Gedankens in die objektive Welt.
11 Vossler, S. 136: “Immer wieder muss man bei vielen seiner seelenvollen Tierszenen an deutsche und niederländische Maler denken, nicht nur an den Nürnberger Virgilius Solis, den er fast täglich betrachtet haben mag, auch an Dürer. Ja sogar Böcklin kommt uns in den Sinn, wenn wir die kleine Familienszene der Satyrn lesen:
Ich verstehe nicht wieso Vossler, der doch in München genug Böcklins kennt La Fontaines gemütlich-rabelaisische Lebensgesundheit mit dem neuromantischen Schauerschillern von brünstigen Naturwesen, die spassige Verbürgerlichung des Elementarischen mit den humorlosen Elementarphantasien eines Bürgers des 19. Jhs. vergleichen kann. Aber allerdings, Vossler sieht (S. 135) in La Font, den “germanischen und romantischen Geist,” (nicht den der französischen Klassiker), einen “individualistischen Phantasten und phantastischen Individualisten,” “eine Seele von Mensch,” inbezug auf “das Seelische” Heinrich von Kleist verwandt.
12 Man kennt diese sprachliche Abbreviatur für länger dauernde Vorgänge bei La Font.: i/16: Il (le bûcheron) appelle la Mort. Elle vientsans tarder … —man hat schon auf: das marionettenhafte Herantanzen dieses “Todes” hingewiesen,—v/1:
wo die Vollstreckung des Todesurteils und des Justizmordes an dem armen Esel gerade in die belangloseste Form gekleidet wird, eine Kleinigkeit, die ironisch als logische Konsequenz der vorhergehenden heuchlerischen Entrüstung erscheint. Auch in solchem abkürzenden Kunstgriff zeigt sich der selbständig mit der Erzählung schaltende Bildner, gelegentlich der dem Weltgetriebe belustigt zuschauende Ironiker.—Auch der historische Infinitiv, dessen Gebrauch bei La Fontaine jetzt A. Lombard's treffliches Buch 'L'infinitif de narration dans les langues romanes“ herausstellt (z.B. grenouilles de sauter dans les ondes), gibt eine Verkürzung und zugleich eine Stellungnahme des Autors: man spürt dass er da ist und die Ereignisse in seiner Weise zurechtrückt.
13 Es ist hier am Platz, die Worte A. Gide's über das Fabelwerk La Font.'s zu zitieren, das er auf seine Kongoreise mitgenommen hatte (NRF. 27,564):
“Je ne vois pas trop de quelle qualité l'on pourrait dire qu'il ne fasse pas preuve. Celui qui sait bien voir peut y trouver trace de tout; mais il faut un oeil averti, tant la touche … souvent, est légère. C'est un miracle de culture. Sage comme Montaigne; sensible comme Mozart.”
14 Vgl. Pourtalès S. 72. Man kann verstehen dass der Verfechter der poésie pure ein besonderes Organ für La Font, haben muss, der auch das Prosaische zum chant erhob und sogar philosophische Diskussion zu “verdichten” wusste.
15 Schon Faguet hat auf den gesellschaftlichen Plauderton der Einwürfe persönlicher Art bei La Font., wie si l'on veut, je laisse à penser, à ce que dit l'histoire, etc. als Charakteristikum des Conte hingewiesen. “Es ist etwas darin vom Spiel des Kavaliers und der Dame im Salon,” sagt Cordemann, die diese Einwürfe nur der zweiten Manier der Fabeldichtung La Font.'s zuweist (vgl. aber das on voit où j'en veux venir in der Fabel über La Rochefoucauld). Ich sehe darin auch eine Standpunkterhöhung des Dichters über seinem Gegenstand, eine Art détachement, Distanz und Abrücken vom Stofflichen, daher auch die Wendungen je ne sais où, j'ai lu quelquepart, die das Stoffliche als belanglos hinstellen gegenüber der Gestaltung. Lessing mit seiner Charakteristik “lustige Schwartzhaftigkeit” haut daneben.
16 Allerdings wenn La Font, solche Namensdoppeldeutigkeit ausbeutet, ist er viel geistreicher: in Le Chat, la Belette et le petit Lapin streiten Dame Belette und Janot Lapin folgendennassen über die diesem von jener geraubten Wohnung:
Rudler S. 83 hebt nur die “noms de vilains” und “ce langage d'apparence proverbiale” hervor. Aber deutlicher wäre zu sagen, dass die Vornamen nicht bloss bäuerliche, sondern in der Juristensprache geläufige Fiktivbezeichnungen für juristische Personen sind (vgl. ital. Tizio, Gaio, Sempronio etc., wo wir A, B, C sagen). Es handelt sich also im Vordergrund um eine juristische Debatte über den Rechtsgrund des Besitzes mit den sprachlichen Gepflogenheiten der Juristen: Dame Belette tut zuerst, als ob sie bei Jean einen NN. und nicht den vor ihr stehenden Jean Lapin meinte—anderseits kommt durch den Sinn des Satzes und besonders durch das verächtliche fils ou neveu der Charakter der Beliebigkeit auch in die Namen Jean und Paul (vgl. ital. un tizio “irgend jemand”). Unter diesen beliebigen juristischen Personen taucht dann auch ganz plötzlich und unverhüllt das moi am Verschluss auf; der “Jurismus” war nur Deckform des Egoismus, raffinierte Übergangstechnik, vermittelt durch das Spiel mit den beiden Bedeutungen des Namens Jean. Der einen Besitz Anzweifelnde kann sich solche sprachlichen Ambiguitäten leisten, der ihn Verteidigende nimmt die Namen nur eindeutig: Pierre—Simon—moi Jean (letzteres eindeutige Kanzleisprache) zeichnen einen einfachen und greifbaren Stammbaum, das Ichbewusstsein des maître et seigneur Hase ist ein naiv sippenhaftes.
17 Chamfort hat schon bemerkt dass in der Fabel L'huître et les plaideurs (ix/9), an der Stelle wo Boileau (Ep. ii) eine Allegorie der Gerechtigkeit mit Wage präsentiert, die die strittige Auster aufisst, La Fontaine einen wirklich lebendigen Richter Perrin Dandin einführt. Logisch-allegorische Kälte gegenüber künstlerischer Inkarnation!
18 Wieweit die Übergangstechnik Allgemeingut der Epoche ist, etwa bei den Kanzelrednern wie Bossuet vorkommt, bliebe zu untersuchen. Sicher ist, dass man mit einer solchen Tradition auch heute noch etwa in den Akademiereden rechnen muss: wie anders sollte sich die kunstvolle Art erklären, in der etwa bei der Aufnahme Claude Farrère's der ihn bewillkommnende Pierre Benoît (vgl. Temps vom 24. iv. 1936) die beiden Themen seiner Rede, das Lob des dahingeschiedenen Vorgängers Farrère's, Barthou, und das des récipiendaire, Farrère, auf folgende Weise verbindet:
“Un caricaturiste a représenté Louis Barthou en cantonnier, en sergent de ville, en juge, en étudiant, en général, en ambassadeur, ce qui signifie qu'il a été successivement ministre des travaux publics, de l'intérieur, de la justice, de l‘éducation nationale, de la guerre et des affaires étrangères. Mais, en quarante- cinq ans de vie politique, il n'a pas trouvé le moyen d‘étre, une seule fois, ministre de la marine. C'est dommage. Sa présence à la tête de notre flotte, maintenant que crest de vous, monsieur, qu'il me faut parier, m'aurait fourni une transition dont je ma serais fort bien arrangé.”
In geistreicher Weise bewerkstelligt der Redner seine “transition,” indem er auf das fehlende Zwischenglied zwischen Barthou und Farrère, eine eventuelle Marineministerschaft Barthous, hinweist—damit aber eben das Zwischenglied schafft: er macht sich in dem Augenblick über die rednerischen transitions-Gebräuche lustig, in dem er sie dennoch, eben dadurch, respektiert!
Giraudoux in Amica America (1928), an Frankreich in Amerika dendend, bewerkstelligt den ständigen Übergang von einem Land zum andern im Traum:
Je rêvais que la soirée continuait. Je rêvais que le roi des transitions prononçait son discours. Il décrivait sa ville natale, Worcester, mais l' on sentait qu' il voulait maintenant parier de Paris; il faisait en vain mille efforts, s' aidant des premiers mots venus pour quitter Worcester, y renonçant, désolé, prêt à rendre son titre; quand soudain, radieux, il trouvait enfin, et, passant de sa ville à ma ville par des avenues, les plus larges, il disait:—Worcester, c' est la beauté; la beauté, c' est 1’ amitié; 1’ amitié, c’ est Paris …
Der ‘Gott der Übergänge’ ist ein Alpdruck für den französischen Stilisten geworden.— Sainte-Beuve hat über Horazens Hineinpassen in französischen Dichterbrauch folgende hübschen Worte geschrieben: “Depuis la réforme de Malherbe, le lyrisme d' Horace est à notre mesure; c' est un lyrisme composé, qui va à nos moeurs, à nos élancements qui durent peu, à toute notre manière de sentir.” Die kurzdauernden Emotionen bringen häufigen Stimmungswechsel mit sich—und die Notwendigkeit, zwischen den verschiedenartigen Stössen zu vermitteln.
19 Ich habe oben zur Widerlegung M. Cordemanns über die Stelle in i/16 Sur les humides bords des royaumes du vent gesprochen. Hier ein anderer Fall, den die Dissertantin an der gleichen Stelle ihrer Arbeit als Beleg für reine “Lyrik,” für “Entzücken über die Frühlingsschönheit der Natur” anführt, iv/22 “L'alouette et ses petits, avec le maître d'un champ”:
Ich füge die nächsten Verse noch an:
Man sieht dass diese Verse offenbar das Gegenbild der vereinzelten, Zuspätkommenden Lerche zu den dem Naturgesetz sich unterordnenden übrigen Tieren bietet. Das erste Bild, nach Lukrez geformt, musste in seiner verpflichtenden Allgemeinheit gegeben werden damit wir den Einzelfall als besonders belangvoll und das Nachholen des Versäumten als geboten empfinden. Aber noch eine Bedeutung hat dieser Natureingang: der Gegenspieler der Lerchenfamilie ist der Mensch, der Feldbesitzer, der sich erst auf sich selbst besinnen muss, damit die Lerchenfamilie die Zeit des Abzugs gekommen fühle. Solange er sich mit dem Mähen auf Freunde und Verwandte verlässt, ist es noch nicht eilig. Das Gesetz des Menschen (Ne t'attends qu'à toi-même) tritt so dem Naturgesetz (Liebe im Frühling) gegenüber. Die Verspätung dem Naturgesetz gegenüber kann die Lerche einholen, solange der Feldbesitzer sich nicht auf sich allein verlässt. Auch der Schluss der Fabel, der Abzug der kleinen Vögel:
ist nicht bloss malerisch gesehen, sondern hat seine funktionelle Bedeutung: die Betonung des Zeitmoments, ferner des Nunmehr-Herangewachsen-Seins (dadurch dass der Bauer solange gezögert hatte).
In andern Fällen ist die Naturlandschaft ironisch in lyrischen Tönen geschildert, so in dem ebenfalls von Cordemann angeführten Fall v/8:
Einmal ist die Landschaft nur Angabe von Zeit und Ort des kleinen Dramas, zweitens ist dies Bild der Lenzesfreude (mit den antikisierenden Epitheta wie tildes zephyrs, die an die Elegiker erinnern) nur deshalb aufgerichtet, um es gründlich im Verlauf der Fabel zu zerstören: die Freude des Wolfes, der seinen Hunger stillt und seine Beute durch List ergattern will, wird durch den Fusstritt des Pferdes (Qui vous lui met en marmelade Les mandibules et les dents) vernichtet; und endlich gehört solch weit ausladender Beginn zur grossen Epik. Eine solche ironische, an den Roman de Renard erinnernde Episierung des Kleinkunstwerkes, solche Einordnung des Kleinen ins Grosse liegt durchaus im Sinn La Font.'s: vgl. die ähnliche Zersetzung der epischen Eingangsstimmung in Les animaux malades de la peste; die ersten Verse sind noch pathetisch-epischer als die eben zitierten:
20 Nur mit Missbehagen kann man z.B. das pedantisch-schulfüchsige Kapitel “La Fontaine animalier” bei Faguet lesen, in dem mit einem Linné'schen Klassifikationsernst ein Katalog der bei La Font, vorkommenden Tiercharaktere (“der Wolf”, “der Frosch”) aufgestellt wird, als ob diese Tiercharaktere etwas ausserhalb des künstlerischen Organismus Stehendes wären. Natürlich hat La Font, diese Charaktere entweder im Einklang mit den Naturgegebenheiten oder mit der literarischen Tradition geformt: der Reiher hat einen langen Hals und Schnabel wie in der Wirklichkeit, selbstverständlich, aber nur der gedankliche Zusammenhang mit la fille erzeugt die psychologische Interpretation seiner passiven Haltung beim Nahrungsmittelfang. Nur die hierarchische Anordnung der Tiere in Les animaux malades de la peste macht aus dem Wolf einen Staatsanwalt und clerc— Ansprechend über “Kunstproblem und Moral in LaF.'s Fabeln” K. Kožešnik, Zeitschr.f. frz. Spr. 1932, S. 479 ff.
21 Sogar eine mittelbegabte Disserantin wie M. Cordemann wagt zu behaupten (S. 61): “In erster Linie ist er immer und überall Dichter. Er mag nicht wissenschaftlich forschen. Von jeher empfand er das, was wir im bürgerlichen Leben Arbeit nennen, als eine Last.” Die Antithese ist hier: fleissiger Philosoph (Wissenschaftler)—fauler Dichter. Aber warum soll es nicht einen Dichter geben, dem Dichtung Arbeit ist? Ein Valéry hat uns hier manches gelehrt. Ich finde keine Deklassierung La Font.'s in Vosslers Worten: “Was andern ein Lebensproblem ist, war ihm ein Stilproblem,” wenn auch Klemperer aus dem Amoralismus La Font.'s irgendeine Durchschnittlichkeit, Dumpfheit, ja Unernst herauslesen will. La Font, ist ernst als Dichter—das einzig Entscheidende. Und wenn anders Apoll und Minerva die Eltern der Fabel sind, wie Vossler sagt, so kann man in La Font. ruhig einen Vorläufer Valéry's auch inbezug auf die poésie de l'intelligence oder poésie pure sehen; Un astrologue tombé dans un puits, Un animal dans la lune, etc. ziehen ‘Gesang’ aus Prosaischem.
In Gohin's “La Fontaine et ses fables” ist nichts Belangvolles für mein Thema zu finden gewesen.
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- Cited by