Published online by Cambridge University Press: 05 February 2009
Zu den gravierendsten Unterschieden zwischen den Synoptikern und dem Johannesevangelium zählt die Stellung der Tempelrei-nigung. Während sich bei Markus die Tempelreinigung einen Tag nach dem Einzug in Jerusalem (vgl. Mk 11.15–19), bei Matthaus und Lukas unmittelbar mit dem Einzug ereignet (vgl. Mt 21.12–13; Lk 19.45–6), stellt Johannes sie an den Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu. Historisch gehört die Tempelreinigung zweifellos an das Ende des Wirkens Jesu, denn sie war ein auslösender Faktor fur seine Festnahme. Johannes dürfte um diesen ursprüngli-chen Ort der Tempelreinigung gewuβt haben, verfügt er doch speziell im Bereich der Passion Jesu über alte Traditionen und gute Informationen. Warum aber verleiht der 4.
1 Zur Tempelreinigung bei den Synoptikern vgl. Söding, Th., ‘Die Tempelaktion Jesu’, TThZ 101 (1992) 39–47.Google Scholar
2 Vgl. den Nachvveis bei Müller, K., ‘Möglichkeit und Vollzug jüdischer Kapitalgerichts-barkeit im Prozeβ gegen Jesus von Nazareth’, in: Der Prozeβ gegen Jesus (QD 112; ng. v. K. Kertelge; Freiburg: Herder, 2. Aufl. 1989) 41–83Google Scholar. Jos Bell 6.300–5, zeigt, daβ Prophetie gegen den Tempel und die Stadt Jerusalem offenbar eine Beteiligung der jüdischen Kapitalgerichts barkeit an der grundsätzlich Römern zustehenden Rechtsfindung verlangten. Wichtig an diesem Text ist die Beobachtung, daβ hier ein offenbar etablierter Instanzenweg abläuft. Von führenden Männern der jüdischen Selbstverwaltung wird ein offizielles Verfahren gegen den Propheten Jesus Ben Ananias angestrengt, er wird zunächst von Mitgliedern des Synedriums verhürt und dann dem Prokurator übergeben. Die Geiβelung ging in der Regel der Vollstreckung eines Todesurteils voraus, d.h. die jüdischen Instanzen diirften einen Kapital-prozefi angestrengt haben, die letztgültige römische Entscheidung lautete allerdings in diesem Fall auf Freispruch.
3 Vgl. Joh 18.13, 28, 31; 19.13,14.
4 Die Textpragmatik fragt nach den textexternen Faktoren der Textrealisierung, wobei die Situationalität und Intentionalität bestimmend sind; vgl. Sowinski, B., Textlinguistik (Stuttgart: Kohlhammer, 1983) 64ff.Google Scholar
5 Käsemann, E., Jesu letzter Wille nach Johannes 17 (Tübingen: Mohr, 4. Aufl. 1980) 111.Google Scholar
6 Vgl. Bultmann, R., Theologie des Neuen Testaments (hg. v. O. Merk, Tübingen: Mohr, 8. Aufl. 1984) 405Google Scholar: ‘Dieser (sc. der Tod Jesu) hat bei Johannes keine ausgezeichnete Heilsbedeutung …’
7 Vgl. z.B. Müller, U. B., ‘Die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu im Johannesevangelium’, KuD 21 (1975) 69Google Scholar: ‘Die Theologie des Johannesevangeliums entfällt als ein Zeugnis für die urchristliche theologia crucis’; Marxsen, W., ‘Christliche’ und christliche Ethik des Neuen Testaments (Gütersloh: Gütersloher, 1989) 253Google Scholar: ‘Für Johannes ist das Kreuz kein Heilsgeschehen.’
8 Geldwechsler waren nötig, weil die zahlreichen von den Festpilgern mitgebrachten Währungen in die für Opferkult und Tempelsteuer allein zugelassenen tyrischen Schekel umgetauscht werden muβten; vgl. Billerbeck, P., Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch 1 (München: Beck, 7. Aufl. 1978) 760–70.Google Scholar
9 Für den traditionellen Charakter von V. 14–16 sprechen die z.T. wörtlichen Übereinstimmungen mit den Synoptikern und der Wechsel der Erzählebene in V. 17 (und V. 20–2); vgl. zur Analyse Schnider-W, F.. Stenger, Johannes und die Synoptiker (München: Kösel, 1971) 37–9.Google Scholar
10 Vgl. Safrai, S., Die Wallfahrt im Zeitalter des zweiten Tempels (Neukirchen: Neukirchener, 1981) 185.Google Scholar
11 Zum redaktionellen Charakter von V. 17 vgl. F. Schnider-W. Stenger, Johannes und die Synoptiker, 39; als Parallelen für diese nachösterliche Reflexion sind Joh 7.39; 11.13; 12.16, 33 zu nennen.
12 Vgl. Hengel, M., ‘Die Schriftauslegung des 4. Evangeliums auf dem Hintergrund der urchristlichen Exegese’, JBTh 4 (1989) 276.Google Scholar
13 Vgl. zu dieser Perspektive Muβner, F., Die johanneische Sehweise und die Frage nach dem historischen Jesus (QD 28, Freiburg: Herder, 1965) 56ff.Google Scholar; Onuki, T., Gemeinde und Welt im Johannesevangelium (WMANT 56; Neukirchen: Neukirchener, 1984) 72ff.Google Scholar
14 Vgl. dazu Culpepper, R. A., The Johannine School (SBL DS 26; Missoula: Scholars, 1975)Google Scholar; Schüssler-Fiorenza, E., ‘The Quest for the Johannine School: The Apocalypse and the Fourth Gospel’, NTS 23 (1977) 402–27CrossRefGoogle Scholar; Brown, R. E., Ringen um Gemeinde (Salzburg: Otto Müller, 1982)Google Scholar; Strecker, G., ‘Die Anfänge der johanneischen Schule’, NTS 32 (1986) 31–47CrossRefGoogle Scholar; Schnelle, U., Antidoketische Christologie im Johannesevangelium (FRLANT 144; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987) 53–75 (ET: Minneapolis: Fortress, 1992, 41–63)CrossRefGoogle Scholar; Hengel, M., Die johanneische Frage (WUNT 67; Tübingen: Mohr, 1993) 219ff., 275ff.Google Scholar
15 Zu den Einleitungsfragen vgl. Schnelle, U., Einleitung in das Neue Testament (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1994) 495–584.Google Scholar
16 Einen anderen Akzent setzt Stegemann, E., ‘Zur Tempelreinigung im Johannesevangelium’, in: Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte (FS R. Rendtorff; hg. E. Blum, Chr. Macholz und E. Stegemann; Neukirchen: Neukirchener, 1990) 513Google Scholar: ‘Ich meine also, daβ dem Johannesevangelisten daran liegt, eine Interpretation der Tempelreinigung und des Tempelwortes als Miβverständnis zu erweisen, die sie in den Kontext politischmessianischer Befreiungswunder nach Art des Mose oder des Josua rückt.’
17 Vgl. Jos Ant 17.213.
18 Zur johanneischen Kreuzestheologie vgl. zuletzt Kohler, H., Kreuz und Menschwerdung im Johannesevangelium (AThANT 72; Zürich: Theologischer, 1987)Google Scholar; Knöppler, Th., Die theologia crucis des Johannesevangeliums (WMANT 69; Neukirchen: Neukirchener, 1994).Google Scholar
19 Kähler, M., Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus (NA München: Kaiser, 1953 = 1892) 60.Google Scholar
20 Vgl. dazu Th. Knöppler, theologia crucis, 201–16.
21 Vgl. z.Becker, B. J., Das Evangelium nach Johannes (ÖTK 4/2; Gütersloh: Gütersloher, 3. Aufl. 1991) 470Google Scholar: ‘Nicht das Kreuz ist also bleibender Realgrund der Erlösung, sondern die Erhöhung, die sich als Abschluβ der Sendung ergibt’; vgl. ferner Kümmel, W. G., Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen (GNT 3; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 3. Aufl. 1976) 265.Google Scholar
22 Nachweis bei Onuki, T., ‘Die johanneischen Abschiedsreden und die synoptische Tradition’, AJBI 3 (1977) 226ff.Google Scholar
23 Vgl. zur Exegese Bjerkelund, C. J., Tauta Egeneto. Die Präzisierungssätze im Johannesevangelium (WUNT 40; Tübingen: Mohr, 1987) 119–25.Google Scholar
24 Den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der johanneischen Erhöhungs- und Verherrlichungschristologie bildet Jes 52.13 LXX, wo es über den Gottesknecht heiβt: Ίδού συνήσει όπαīς μου κα⋯ ύψωθήσεται κα⋯ δοξασθήσεται σφόδρα.
25 Zur Analyse von V. 18 vgl. F. Schnider-W. Stenger, Johannes und die Synoptiker, 45ff.
26 Vgl. Cullpepper, R. A., Anatomy of the Fourth Gospel (Philadelphia: Fortress, 1983) 125–32.Google Scholar
27 Bultmann, R., Das Evangelium des Johannes (KEK 2; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 19. Aufl. 1968) 88Google Scholar, spricht von einem ‘ironischen Imperativ des prophetischen Stils’.
28 Vgl. Schürer, E., Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi 1 (Leipzig: Hinrichs, 5. Aufl. 1920) 369 n. 12.Google Scholar
29 Vgl. als Einführung Maier, J., ‘Tempel und Tempelkult’, in: Literatur und Religion des Frühjudentums (hg. v. J. Maier u. J. Schreiner; Würzburg: Echter, 1973) 371–90.Google Scholar
30 Vgl. dazu Deines, R., Jüdische Steingefäβe und pharisäische Frömmigkeit (WUNT 2.52; Tübingen: Mohr, 1993).Google Scholar
31 Mit seiner Absage an einen geographisch fixierten Kultort, Tempel und Tempelbetrieb befindet sich Johannes in groβer Nähe zu Strömungen der römisch-hellenistischen Religionsphilosophie seiner Zeit; so gilt für die wahre Verehrung Gottes nach Seneca: ‘Nicht brauchen wir die Hände zum Himmel zu erheben noch den Tempelhüter anzuflehen, daβ er uns zum Ohr des Götterbildes Zutritt gewähre, als ob wir so eher erhört werden könnten: Nahe ist Dir Gott, mit Dir ist er, in Dir ist er. Das behaupte ich, Lucilius, ein heiliger Geist wohnt in uns, als Beobachter und Überwacher unserer bösen und guten Taten; wie dieser von uns behandelt wurde, so behandelt er uns. Ein guter Mensch aber ist niemand ohne Gott’ (Ep 41.1–2).
32 Vgl. dazu Billerbeck 2.799–805.
33 In V. 38 ist das αὐτο⋯ auf Jesus zu beziehen; vgl. Bauer, W., Das Johannes-Evangelium (HNT 6; Tübingen: Mohr, 3. Aufl. 1933) 112–13.Google Scholar
34 Zur johanneischen Inkarnationschristologie vgl. Weder, H., Einblicke ins Evangelium (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992) 363–465.Google Scholar