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Wie die Griechen lernten, was geistige Tätigkeit ist

Published online by Cambridge University Press:  18 September 2015

B. Snell
Affiliation:
Hamburg

Extract

Mein Lieber Dodds,

in dem ersten Kapitel Ihres grundlegenden Buches ‘The Greeks and the Irrational’ machen Sie einige Bemerkungen über psyche, noos, thymos bei Homer (S. 15 f.), über den Gebrauch von είδέναι = ‘wissen’ und ‘gesehen haben’ und schließlich über das ‘Sich-Erinnern’ oder ‘Vergessen’ bei der Besinnung auf moralisches Verhalten wie etwa der Tapferkeit (S. 16 f.). Sie schließen diese allgemeinen Erörterungen mit den Worten: ‘Such a habit of thought must have encouraged the belief in psychic intervention. If character is knowledge, what is not knowledge is not part of the character, but comes to a man from outside. When he acts in a manner contrary to the system of conscious dispositions which he is said to ‘know’, his action is not properly his own, but has been dictated to him. In other words, unsystematised, nonrational impulses, and the acts resulting from them, tend to be excluded from the self and ascribed to an alien origin.'

Wenn das für Homer richtig ist (und mir scheint es evident) und wenn die späteren Griechen ein ausgeprägtes Bewußtsein dafür hatten, daß der freie und überlegene Mensch durch eigene geistige Kraft Klarheit gewinnen muß über das, was wahr, gut und schön ist, kann man diesen Weg dahin vielleicht verfolgen an der Art, wie jeweils die Griechen das Erkennen aufgefaßt haben.

Type
Research Article
Copyright
Copyright © The Society for the Promotion of Hellenic Studies 1973

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References

1 Berkeley and Los Angeles, 1951.

2 Schon früh hat Hermann Fränkel ähnliche Probleme verfolgt und seine Ergebnisse zusammenge faßt in seinem Buch, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums (1950, 2. Aufl. 1962)Google Scholar, als dessen Ziel er bezeichnet, ‘die spezifische Denkart der Epoche in ihrem Wesen zu erfassen und in ihrem geschichlichen Wandel zu verfolgen’. Über die homerische Aufassung des Menschen sagt er (S. 88): ‘Der Mensch… hat keine verborgenen Tiefen…. In dem sachlichen Bericht, den das alte Epos vom Tun und Reden der Menschen erstattet, wird alles ausgesagt, was die Menschen sind, weil sie eben nur das sind, was sie tun und reden und leiden.… Wenn so der Mensch wie ein Kraftfeld ist, dessen Linien in Raum und Zeit hinausziehen ohne Grenze und Schranke, so können ebenso ungehindert auch andre Kräfte in ihn hineinwirken, ohne daß es Sinn hätte zu fragen, wo das Eigene anfängt und das Fremde aufhört.’ Vergi, ferner etwa Vernant, J.-P., Mythe et pensée chez les Grecs, Paris 1965 S. 239Google Scholar über die Beziehungen zwischen Gott und Mensch bei Homer und Russo, J. u. Simon, Bennett, ‘Homeric Psychology and the Oral Epic Tradition’, J. Hist. Ideas 29, 1968, 483–98Google Scholar; Quaderni Urbin. 12, 1971, 40 ff.

3 Dazu und zum folgenden s. Tyrtaios S. 54 ff.

4 Wie das Erkennen vornehmlich an das Sehen, das Verstehen an das Hören, das Begreifen eines Zwecks an das praktische Können geknüpft ist, wie ferner im Sehen, Hören, Können jeweils schon eine ‘geistige’ aber unreflektierte Interpretation gegeben ist, zeigt Plessner, Helmuth, Die Einheit der Sinne, 1923Google Scholar; vgl. jetzt auch den Abschnitt: ‘Anthropologie der Sinne’, in dem Sammelband: Philosophische Anthropologie 1970, 189–251. Der Satz: ‘er sah, daß das Hektor war’, meint schon ‘er erkannte’. Um dies ‘implizit’ Mitgegebene schärfer zu explizieren, bedarf die Sprache der Verschränkungen verschiedener Aspekte, der Metaphern usw. In meinem Buch über den ‘Aufbau der Sprache’ habe ich versucht, die philosophisch-phänomenologischen Erwägungen mit sprachgeschichtlichen zu verknüpfen, damit sie sich womöglich wechselweise erhellen.

5 Vgl. zwei weitere Beispiele u., Anm. 6.— Daß das γιγνώсκειν vor allem mit dem Sehen verknüpft wurde, zeigt besonders schlagend Hipp. π. ίερ. νούсον 14, wo in einer Erörterung über die Empfindungen βλέπειν und διαγιγνώсκειν zusammengehören. Den Vorrang des Sehens für die Erkenntnis betont vor allem Aristoteles am Anfang der Metaphysik.

6 Vgl. Il. 1, 333: Achill erkennt die Herolde Talthybios und Eurybates, Il. 8, 446: Zeus kommt zum Olymp zurück und sieht Athena und Hera, Il. 12, 530: daβ Apoll sein Gebet erhört und ihn heilt, Il. 24, 563: Achill (ich kann dich erkennen), Od. 1, 420: Od. 22, 501: Odysseus erkannte nacheinander mit Ergriffenheti all seine alten Mägde, Charakteristisch ist auch ein Gebrauch wie, Il. 5, 492: Ebenso eindrucksvoll ist die Wendung Od. 1, 327: Penelope hört in ihrem Gemach, wie Phemios die ‘traurige Heimkehr der Achaier besingt’, oder Od. 20, 227: wo Odysseus dem Philoitios bestätigt, sei ihm in die φρένεс gekommen.—Heute lokalisieren wir geistige Tätigkeit im Gehirn. Tatsächlich spüren wir es im Kopf, wenn wir einmal angestrengt nachgedacht haben. Solche Anstrengung ist mit Homers γνῶναι eben nicht verbunden.— Weiteres über φρένεс etwa bei Max Treu, Von Homer zur Lyrik (vgl. den Index); über die Zusätze Latacz, J., Zum Wortfeld ‘Freude’ in der Sprache Homers 218 ffGoogle Scholar.—Die oben gegebene Erklärung scheint mir zum mindesten der Ausgangspunkt für die Bedeutung der φρένεс zu treffen. Wieweit die homerische Sprache darüber hinauskommt, müßte eine umfangreiche Untersuchung aufweisen.

7 Schwyzer, E., Gr. Gramm. 2, 285Google Scholar, der aber schon mit Recht Bedenken gegen solche Auffassung äußert.

8 Vgl. Tyrtaios 55 und die dort angeführte ungedruckte Dissertation von Gerda Knebel.

9 Vgl. Tyrtaios 9 ff.

10 γνῶ κατά θυμόν heißt es von Aias Il. 16, 119, der schaudernd merkt, daß Zeus sich von ihm abgewandt hat, und sich deshalb zum Rückzug wendet (vgl. Entd.3 31). S. auch u. S. 183.

11 Entdeckung3 99.

12 Vgl. Fränkel, H., Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums2, 27 Anm. u. 433 fGoogle Scholar.

13 Il. 11, 218 f., Il. 14, 508 f., Il. 16, 113,

14 Kuhn, Adalbert, K.Z. 2, 1853, 467Google Scholar, und Wackernagel, Jacob, Philologus 95, 1943, 16CrossRefGoogle Scholar = Kl. Sehr, 1, 201 haben gezeigt, daß die homerische Wendung ‘unvergänglicher Ruhm’, ihr genaues Gegenstück in der vedischen Dichtung hat.

15 Vgl. Latte, K., Antike und Abendland 2, 159 ffGoogle Scholar. = Kl. Sehr. 69 ff.

16 Das gleiche Wissen schreibt Solon der Dike zu: fr. 1,15 D.—Von Polydamas heißt es Il. 16, 250 er setzt sehr nüchtern auseinander wie die Kampfaussichten waren, als Achill zürnte, und wie sie sind, seit er in den Kampf zurückgekehrt ist. Darüber, wie solche Vorstellungen auf die Entwicklung des historischen Bewusstseins bei den Griechen gewirkt haben, s. Sonai Research 39, 1972, 679 ff.

17 Vgl. Dodds, , The Greeks and the Irrational 16 ffGoogle Scholar. Adkins, , From the many… 47Google Scholar.

18 Auch Wendungen wie wären hier zu besprechen, die auf das Verhalten einem anderen gegenüber zielen. Vgl. Kraft, F., Vergleichende Unters, z. Homer u. Hesiod 153 fGoogle Scholar.

19 S.U.S. 179.

20 Zudem ist er auch Über diespäteren Adjektive usw. s. Entd.3 37.

21 vgl. Vernant, J.-P., ‘Aspects mythiques de la Mémoire en Grèce’, Journ. de Psychologie 1959, 129Google Scholar (abgedruckt in Mythe et pensée chez les Grecs, Paris 1965 Kap. 2)—Bezeugt ist Mnemosyne erst bei Hesiod Theog. 54, 135, 915; h. Merc. 42g. Aber Homer sagt im Musenanruf vor dem Schiffskatalog immerhin (Il. 2, 492), daß sie ‘sich erinnern’.

22 Dichtung und Gesellschaft S. 96 ff.

23

24 An neurer Literatur nenne ich: Wilckens, U., ‘Sophia’, Theol. Wb. Wb, 1964, 465 fr.Google Scholar; Gladigow, B., Sophia & Kosmos, Spudasmata1, 1963Google Scholar; Maier, F., Der сοφόс—Begriff, Diss. München 1970, 370 S.Google Scholar

25 Paus. 8, 53, 7.—Zimmermann, H. D., Historische Untersuchungen zu attischen Personennamen, Diss. Halle 1963Google Scholar, zeigt, daß Namen mit im allgemeinen aus handwerklichem Milieu stammen.

26 s. Entdeckung3 S. 25 ff.

27 s.o.S. 176.

28 Vgl. Frisk, Gr. etym. Wb. s.v.

29 Wir lernen die griechischen Verben so, als ob das Präsens die Grundform und ‘dazu’ ein Aorist gebildet sei. Das stimmt nicht; es gibt drei Arten von Verben:

(a) die primär präsentischen, die nach dem Präsens einen Aorist bilden, also etwa mit einem s, wie

(b) die primär aoristischen, die nach dem Aorist ein Präsens bilden mit -άνω,-сκω, Reduplikation des Stammes usw.;

(c) die Verben, bei denen, soviel wir sehen, von vornherein Präsens und Aorist nebeneinanderstanden.

Diese letzteren haben im Aorist kurzen Stammvokal, der im Präsens als e-Diphthong auftaucht, wie λείπειν-λιπεῑν (da lassen—verlassen), φεύγειν-φυγεῑν (fliehen—entfliehen). Das ist eine Art von Mimesis: Das Präsens, das Dauer bezeichnet, hat einen längeren Stamm, der punktuelle Aorist einen kürzeren. Nicht hierher gehören natürlich Formen wie das ist ursprünglich ein s-Aorist: *ενεμ-с-α usw.

30 Vgl. auch [Hom.] Marg.fr. II Allen:

31 Philosophie der Geschichte II 1 S. 314 (Ausg. v. Glockner 1949). Über die Bedeutung von Hephaistos und Athena für das Schaffen der frühen Künstler vgl. Hanne Philipp, 1968, 62–9: dort S. 67 über die ältesten Künstlersignaturen. Die älteste Töpfer-Inschrift ist jetzt anscheinend die von Buchner veröffentlichte aus Ischia (Archaeological Reports 17, 1971, 67).

32 Darüber, wie das Bewußtsein der persönlichen ‘Weisheit’ und des ‘neuen’ Liedes bei den Dichtern immer stärker wird und sich zumal bei Pindar ausspricht, vgl. Maehler, H., Die Auffassung des Dichterberufs 66 ff., 94 ff.Google Scholar; Verdenius, , Pindar's Seventh Olympian Ode 1972, 99 zu v. 8Google Scholar.

33 Vgl. Archil, fr. 23, 10 West θυμόν ἳλαον τίθεο, eine Stelle, auf die Treu auch schon hingewiesen hat. —Bernh. Mader macht mich aufmerksam auf Hes. Sc. 96, wo Herakles den Iolaos ermahnt: (vgl. auch 434).

34 Einiges hierzu: Aufbau d. Sprache3 98 f.

35 ‘Platon oder Pythagoras? Zum Ursprung des Wortes Philosophie’, Hermes 88, 1960, 159–77. Vgl. auch F. J. Weber in der Einführung zu seiner Ausgabe von Platons Apologie, Paderborn 1968. Über die Entwicklung des Wortes bis zum 4. Jhd. n. Chr. s. Malingrey, Anne-Marie, Philosophia, Paris 1960Google Scholar.

36 Über Wendungen wie ἔποсἱέναι und die Metapher des Pfeils in vgl. Latacz, jetzt J., Glotta 46, 1968, 27 ffGoogle Scholar.

37 Dichtung und Geselbchaft 71 f. So heißt denn auch сυνιέναι wenn es nicht auf Gehörtes geht ‘zusammenhetzen’, сυνίεсθαι ‘sich einigen’, сύνεсιс ‘Vereinigung’, сυνθεсίαι ‘Vertrag’.

38 Später heißt сυνιέναι nicht nur ‘folgen’, sondern bezeichnet die kritische Besinnungauf die Bedeutung der Wörter, wenn man nach der ὀρθοέπεια fragt: sind die Wörter φύсει oder νόμφ? Dies wird dann wichtig für die ψυχαγωγία durch Sprache, für Manipulation und Forschung nach ‘Wahrheit’. Darüber zuletzt Solmsen, Fr., Hermes 99, 1971, 385 ffGoogle Scholar. mit ausführlichen Literaturangaben.

39 Ausdrücke S. 62. Die falsche Übersetzung: ‘Meinen Vater kennst du gut’ hält sich zäh am Leben.

40 Homerische Wörter (1950) 277 f.

41 ΜΕΛΕΤΗ. Übung, Lernen und angrenzende Begriffe. 1. Band Text, 2. Band Anmerkungen, Register. Basel 1970.

42 Ausführlich über τέρπεсθαι Latacz, J., Zum Wortfeld ‘Freude’ in der Sprache Homers 174 ff.Google Scholar: = ‘einem Trieb nachgeben’, so auch dem Spieltrieb und sich tummeln.

43 Über μανθάνω vgl. jetzt den inhaltsreichen Artikel von Rengstorff, in Kittels Theol. Wörterb. IV (1942) 392 ffGoogle Scholar. und Dörrie, H., Leid u. Erfahrung 1956Google Scholar (über das Motiv πάθει μάθοс). Über die Entwicklung des Wortes μαθηματικόс Burkert, W., Weisheit und Wissenschaft 1962, S. 201, 97 u. 399Google Scholar.

44 Dazu Hieronymus I 20.

45 Hieronymus S. 15: ‘Gewiß hat man schon damals geübt, hat man üben müssen. Aber man hat nicht darüber gesprochen’. Doch man sprach davon, daß man sich mit den Waffen tummelte,— und der Effekt war derselbe.

46 Zu dieser Bedeutung von Thymόs s. Entd.3 31.

47 Grundlegend darüber K. v. Fritz in 3 Aufsätzen: ‘Νοῦс and νοεῖν in the Homeric poems’, Class. Philol. 38, 1943, 79–93; ‘νοῦс, νοεῖν and their derivatives in Pre-Socratic philosophy, I’, ib. 40, 1945, 223–43; II, ib. 41, 1946, 12–34. Die 3 Aufsätze sind, ins Deutsche übersetzt, vereint in dem Sammelband, Um die Begriffswelt der Vorsokratiker, Darmstadt 1968, 246363Google Scholar.

48 Reiches Material über die Jagdmetaphern im Epos, in der Lyrik, und in der Tragödie legt Classen, C. J. in den ersten Kapiteln seiner Untersuchungen zu Platons Jagdbildern (1960Google Scholar) vor. Den homerischen Gebrauch von φρονεῖν und μερμηρίζειν bespricht ausführlich Voigt, Chr., Überlegung und Entscheidung. Studien zur Selbstauffassung des Menschen bei Homer (1933; Nachdruck 1972)Google Scholar.