Das bekannte Problem, von wem der Name Metaphysik eigentlich stamme und ob derselbe denn mehr als ganz äuβerliche Bedeutung (nämlich die Angabe der Reihenfolge der Ausgabe der Aristotelischen Schriften) habe, wurde innerhalb der letzten Jahre überaus gründlich diskutiert. Das Problem, das hier behandelt werden soll, ist ihm verwandt. Wie immer man Name und dessen Entstehung erklärt, so bleibt doch sehr bemerkenswert, daβ die Metaphysik, wie ihr Name besagt, in irgendeinem Sinne auf die Physik folgt. Denn es scheint doch, daβ es im Sinne einer Reihe von Stellen bei Aristoteles läge, dieselbe nicht auf die Physik, sondern auf die Mathematik folgen zulassen, so daβ sie nicht Metaphysik, sondern Metamathematik heiβen sollte. Wenn wir uns also für den Namen Metaphysik interessieren, so geschieht es in dem Sinne: Warum Metaphysik und nicht Metamathematik?
An den Stellen, an denen Aristoteles das Wesen der Ersten Philosophie bestimmt, behandelt er immer wieder zwei Wissenschaften, die den Anspruch erheben könnten, Erste Philosophie zu sein. Es sind dies Physik und Mathematik. Und Aristoteles gibt diesen beiden das Recht zu, als Teile der Weisheit zu gelten, weist dagegen deren Anspruch Erste Philosophie zu sein, ab. Als Endergebnis der Diskussion finden wir die Formel, daβ es drei Philosophien (oder wie wir auch sagen könnten, Sophien) gibt, Physik, Mathematik und Erste Philosophie.
2 Jaeger, W., Studien zur Entstehungsgeschichte der Aristotelischen Metaphysik, Berlin, 1912Google Scholar; Moraux, P., Les listes anciennes des ouvrages d'Aristote, Louvain, 1951Google Scholar; Reiner, H., Die Entstehung undursprüngliche Bedeutung des Namens Metaphysik, Zeitschrift für philosophische Forschung 8 (1954), 210–37Google Scholar; idem, Die Entstehung der Lehre vom bibliothekarischen Ursprung des Namens Metaphysik, ibid. 9 (1955), 77–99; idem, Druckfehlerberichtigung, ibid. 417; idem, Philoponos, Der Metaphysik-Kommentar des Joannes, Hermes 82 (1954), 480–2.Google Scholar Eine neue Erklärung finden wir bei Thielscher, P., Die relative Chronologie der erhaltenen Schriften des Aristoteles nach den bestimmten Selbstzitaten, Philologus 97 (1948), 229–65.CrossRefGoogle Scholar
3 Wo immer dieses Aufstiegsproblem behandelt wird, kommt auch die Lesart von Met. E 1, 1026a14 zur Frage. Nach den Hss. werden die Gegenstände der Physik als ἀχώριστα bezeichnet, während der Sinn χωριστά zu verlangen scheint (vgl. From Platonism to Neoplatonism, S. 57, 65 f.). Nun ist vor kurzem das ἀχώριατα Décarie, von V., La physique porte-t-elle sur des ‘non-séparés’?, Revue des Sciences Philosophiques et Théologiques 38 (1954), 466–8Google Scholar, verteidigt worden. Décarie glaubt dies tun zu können, indem er ἀχώριστα mit ‘materiell’, d.h. nicht von der Materie abgetrennt, interpretiert. Er übersieht, weil er nur einen Satz übersetzt, daβ er damit Aristoteles sagen läβt: ‘Die Gegenstände der Physik eignen sich nicht zu Gegenständen der Ersten Philosophie, denn die genannten Gegenstände der Physik sind zwar materiell, aber nicht unbewegt.’
Vielleicht sollte auch noch bemerkt werden, daβ sich Décarie nicht ganz mit Recht auf D. R. Cousin, ‘A Note on the Text of Metaphysics, 1026a14, Mind 49 (1940), 495–6 und auf Gohlke, P. (siehe jetzt: Die Entstehung der Aristotelischen Prinzipienlehre, Tübingen, 1954, S. 22)Google Scholar als Verteidiger der Lesart ἀχώριστα beruft. Denn beide verteidigen zwar die Lesart, aber in anderem Sinne als dies Décarie tut: sie halten den Ausdruck für fehlerhaft, schreiben aber diesen Fehler dem Aristoteles selbst zu. Um diesen Preis läβt sich die Lesart natürlich halten (wie ja auch ich, den Décarie nur für den gegenteiligen Standpunkt zitiert, a.a.O. 57 zugegeben habe); Décarie behauptet aber, daβ die Lesart guten Sinn ergibt.
4 A. Mansion, Het Aristotelisme in het historisch perspectief, Brussel, 1954 (Mededelingen van de koninklijke vlaamse academie voor wetenschappen, letteren en schone kunsten van België. Klasse der Letteren, Jaargang 16, 1954, nr. 3), besonders S. 33–40.
5 Muskens, G. L., De ente qua ens metaphysicae aristoteleae obiecto, Mnemosyne. Tertia series, vol. 3 (1947), 130–40.Google Scholar
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7 Es ist an sich bemerkenswert, daβ diese Stelle von Schwegler, Bonitz und Ross so gut wiegar nicht kommentiert wird. Es ist weiter bemerkenswert, daβ sich immer wieder Übersetzungen finden, die χωριστόν mit dem zweideutigen ‘separabilis’, ‘trennbar’ usw. wiedergeben (so findet sich das ‘separabilis’ in der versio antiqua und der versio moderna: S. Thomae Aquinatis … Opera …, New York, 1949 [Wiederabdruck der Parma-Ausgabe von 1852–1873], Bd. 20, S. 600) und auch in der Bessarionschen Übersetzung; das ‘trennbar’ bei Schwegler und Gohlke), während natürlich andere Übersetzer das unzweideutige ‘getrennt’ usw. bringen (so z.B. Ravaisson, Tricot; Trendelenburg, Rolfes; Ross, Tredennick; Eusebietti). Am interessantesten istdie Übersetzung von Bonitz: ‘selbständig trennbar’. Bonitz ist sich offenbar der Wichtigkeit des Ausdrucks bewuβt und versucht die Schwierigkeit zu umgehen. Aber umsonst: denn was immer χωριστόν heiβt, die mathematischen Gegenstände werden doch als οὐ χωριστά bezeichnet. Cf. Jaeger, W., Aristotle 2, Oxford, 1948, 211Google Scholar f.= Aristoteles, 2Berlin 1955, S. 219 f.Google Scholar
8 A.a.O., S. 37, Anm. 41: Buitendien verwekt de vreemdsoortige koppeling van den twee (scil, mit γωριστόν) toevoegsels een gewettigden argwaan; de twijfel, die sinds lang bestaat, wat betreft de Aristotelische echtheid van det boek K, wordt hierddor nog versterkt.
Frl. Mansion, die sich der Ansicht von A. Mansion anschlioβt, geht mit Met. K noch schärfer ins Gericht. Sie tadelt das Buch als äuβerst konfus; und die Identifikation des mit der höchsten Substanz klingt ihr nach einem Schüler, der die Lehre von der Seinsanalogie nicht verstanden habe und nun die technischen Formeln derselben in falscher Weise anwende (Mansion, S., ‘Les Apories de la Métaphysique’, in Autour d'Aristote, 1955, 171–79Google Scholar, bes. Anm. 45, 50 und 67).
9 Daβ K früher ist, ist bekanntlich die Position von Jaeger, Arnim und Ross. Das Umgekehrte wird z.B. von Gohlke (s.Anm. 3) und Wundt (s.Anm. 1) behauptet.
10 A.a.O., S. 36, Anm. 38.
11 Vielleicht sollte bei dieser Gelegenheit bemerkt werden: wenn Asclepius das auch als bezeichnet, so folgt er Aristoteles selbst, der in E 1, 1025b 10 dasselbe tut indem er sagt: die anderen, von der Ersten Philosophie verschiedenen Wissenschaften sprechen nicht Zur Erläuterung diene Met. M 2, 1077b16: es ist klar, sagt Aristoteles hier, daβ Mathematisches entweder überhaupt nicht existiert, (offenbar nur als Gegenstand der Abstraktion) Hier wird das dem nur abstraktionsweise Existierenden entgegengesetzt und es ist daher nicht unwahrscheinlich, daβ das wo es, wie in E 1, auf das bezogen wird, ausdrücklich solches bezeichnet, das nicht nur abstraktionsweise existiert.
12 Introduction à la physique Aristotélicienne,2 Louvain 1946, S. 8, Anm. 8. Vgl. Praechter, K. in Goett. gel. Anz, 165 (1903) 513–30Google Scholar, bes. 525 ff.
13 Freudenthal, G., Die durch Averroes erhaltenen Fragmente Alexanders zur Metaphysik des Aristoteles, Abh. der k. Ak. der Wiss. zu Berlin, … 1884, Berlin, 1885, S. 68 mit Anm. 4.Google Scholar
14 Vgl. Verbeke, G., La théorie aristotélicienne de l'intellect d'après Théophraste, Revue philosophique de Louvain 53 (1955), 368–82CrossRefGoogle Scholar, bes. S. 373 f. Verbeke nimmt an, daβ sich Theophrast vielleicht auf Aristoteles bezieht; in diesem Falle gäbe seine Auffassung zu ernsten Vorbehalten Anlaβ. Wahrscheinlich habe Aristoteles in einer bestimmten Phase seines Philosophierens Metaphysikauf das Intelligible beschränkt; aber in der Metaphysik tue er es nicht. Und in diesem Zusammenhang lehnt Verbeke, unter Berufung auf Mansion, meine Interpretation des ab. Es ist natürlich immer bedenklich, in einer so wichtigen Frage von der Aristoteles-Interpretation des Theophrast (wenn eine solche hier vorliegt) abzuweichen, während es Vertrauen erweckt, hierin mit ihm übereinzustimmen. In From Platonism to Neoplatonism habe ich auf Theophrast nur im allgemeinen verwiesen (S. 181).
15 Wieder stimmen meine Ergebnisse mit denen von Owens überein (vgl. From Platonism to Neoplatonism, S. 181, Anm.). Dies ist umso bemerkenswerter, als unsere Fragestellung und unsere Belege nur zum Teilidentisch sind. Siehe Owens, J., The Doctrine of Being in the Aristotelian Metaphysics, Toronto, 1951, S. 239–41Google Scholar; 286 f.; 299.