Published online by Cambridge University Press: 28 July 2009
Auf den ersten Blick scheint es fast eine Selbstverständlichkeit zu sein, daΒ die Soziologie ein «Menschenbild» haben müsse; und es erscheint sogar als wahrscheinlich, daΒ die Soziologie ein besonderes, aus der Eigenart ihrer Themenstellung und ihrer epochalen Rolle bestimmtes «soziologisches Menschenbild» besitzen könnte (i). Die Soziologie ist eine der Wissenschaften vom Menschen. MuΒ deshalb ihren Bemühungen um die Erforschung und Deutung menschlichen Zusammenlebens nicht ein Bild von Menschen zugrunde liegen, auf dem alles weitere Denken und Forschen aufbaut? Freilich hat die Soziologie nur einen Teilaspekt menschlichen Lebens zum Thema : die sozialen Strukturen. Auch beschäftigt sich der Soziologe hauptberuflich nicht mit alien sozialen Erscheinungen. Die sogenannten «primitiven» Gesellschaften überläΒt er — trotz mancher sehr wichtigen Querverbindungen, die zwischen den Disziplinen bestehen — den Ethnologen. Was die Gesellschaften der Vergangenheit anbelangt, so muΒ sich der Soziologe vielfach auf das Urteil der Historiker verlassen, so wünschenswert es ist, wenn er auch selbst etwas von der Geschichte und der Arbeitsweise der Historiker versteht. Im wesentlichen beschränkt sich die Forschungsarbeit der Soziologie und damit auch die Legitimität der speziell soziologischen Aussagen auf die nach abendländischem Muster hochzivilisierten Gesellschaften der Gegenwart. Das heiΒt : die eigentlichen soziologischen Aussagen beschränken sich auf einen bestimmten geschichtlich und geographisch lokalisierbaren Teilbereich des menschlichen Daseins. Ihre Aufgabe ist nicht, Aussagen über den Menschen zu machen, sondern nur über Ausschnitte aus dem Leben bestimmter Menschen.
(1) Der vorliegende Aufsatz beruht auf einem Vortragsmanuskript, dessen unmittelbarer Charakter beibehalten wurde.
(2) Vgl. Schelsky, H., Ortsbestimmung der deutschen Soziologie (Düsseldorf, Diederichs, 1959).Google Scholar
(3) Dahrendorf, Ralf, Homo sociologicus, 3. Aufl. (Köln, Westdeutscher Verlag, 1961).Google Scholar
(4) Der Verfasser verdankt Herrn Konrad Thomas aus Mannheim, der seine Industrieerfahrungen als Arbeiter z.Zt. in einem Manuskript ausarbeitet, viele Hinweise und Mitteilungen über die Situation des s Akkordarbeiters in der Metallindustrie.