from Special Section on Goethe and the Postclassical: Literature, Science, Art, and Philosophy, 1805–1815
Published online by Cambridge University Press: 14 March 2018
DIE VERDERBTE WELT KANN DARÜBER LACHEN,” schrieb Fürst August von Sachsen- Gotha am 13. Dezember 1792 an Goethe, inspiriert von der Lektüre des soeben anonym in den Horen erschienenen Märchens: “Ich bin überzeugt, dass die Offenbarung Johanni und dieses sogenannte Mährchen aus ein und derselben Feder geflossen sind.” Eindringlich wies der Fürst auf die seiner Meinung nach “prophetische Dunkelheit” des Textes hin und fand unverzeihlich, dass die Herausgeber sich unterstanden hatten, “das Wort Mährchen hin zu setzen, wo Offenbarung … hingehörte.” In seiner Antwort zeigt Goethe sich gegenüber dieser “anfangs allzu verwegen scheinenden Hypothese” seiner Durchlaucht erstaunlich positiv und pflichtet den Hinweisen auf eine Verwandschaft des Märchens mit der Johannesoffenbarung vollkommen bei: “Nur ein so frevelhaftes Zeitalter als das unsere,” schreibt er, könne “die besagte Schrift für ein Mährchen halten,” weise sie doch “alle Kennzeichen einer Weissagung und das vorzüglichste Kennzeichen im höchsten Grad” auf, nämlich “daß sie sich auf das Vergangene wie auf das Gegenwärtige und Zukünftige bezieht” (WA 4.10:352).
Obwohl Goethe auch gegenüber Schiller, Herder und Riemer auf einen inneren Zusammenhang zwischen seinem Märchen und der Johannesoffenbarung hingedeutete, hat die Goethe-Forschung die Äußerungen Fürst Augusts wie auch Goethes Replik zumeist als humorvollironische Tändelei aufgefasst und ist so der ernsthaften Frage nach einer möglicherweise tiefgreifenden litera rischen Verwandschaft des Märchens zur Johannesoffenbarung ausgewichen. Ohly und Niggl beschäftigen sich zwar mit textuellen Bezügen zwischen beiden Texten, doch eher im Vorübergehen. Andere Autoren stellten wohl “Anklänge an die Offenbarung” (Mommsen) und einen “eschatologischen Sinn” (Haff) innerhalb des Textes fest, ließen es jedoch bei solch allgemeinen Andeutungen bewenden. Man begnügte sich mit der Feststellung, dass es im Märchen um Offenbarung (gr: apokalypsis) im allgemeinen gehe und stritt darüber, was denn hier offenbar wird: Goethes Anschauungen zur Kunst, zur Natur, zur Politik, sein Verhältnis zu Schiller und vieles andere. Einzig Rudolf Steiner scheint den Dichter beim Wort genommen und die Märchendichtung im buchstäblichen Sinne als apokalyptischen Text, d.h. als literarische Darstellung eines Aufstiegs zu transzendenter Erkenntnis gelesen zu haben. In dem Essay Goethes geheime Offenbarung nachgestellt von 1899 wertete Steiner das Märchen in dreifachem Sinne als “Goethes Apokalypse”: 1. sei der Text Ausdruck von Goethes esoterischem, aus übersinnlicher Offenbarung geschöpftem Wissen, 2. habe der Dichter darin das sich entwickelnde Wesen des Menschen, “den inneren Entwicklungsgang der Menschheit” bildhaft dargestellt und 3. sei in der Erweckung des Prinzen und der Errichtung des Tempels die Herausbildung einer höheren Bewusstseinsstufe dargestellt, […]
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