Published online by Cambridge University Press: 28 February 2023
WOHL ZU KAUM einem anderen Zeitpunkt stellte sich die Frage nicht nur nach der Zukunft, sondern auch nach der Herkunft des deutschen Volkes derart dringlich wie in der SBZ der unmittelbaren Nachkriegsjahre. Denn eine Gesellschaft, die dem Pilotprojekt der Realisierung eines deutschen Sozialismus entgegensah, hatte sich natürlich zunächst im Grundsatz daraufhin zu befragen, ob die deutsche Geschichte vor der Stunde Null zu irgendeinem Zeitpunkt Werte oder Symbole hatte hervorbringen können, an die es nun anzuknüpfen lohnte und, wenn ja, welche diese im Einzelnen hätten sein können. Insofern Deutschland nach der Kapitulation nicht nur moralisch, sondern auch ganz buchstäblich in Trümmern lag und deshalb nicht nur nach pädagogisch-politischen, sondern auch nach sofortigen materiellen Wiederaufbaumaßnahmen verlangte, drängte zudem die Zeit in Bezug auf die Beantwortung entsprechender Fragen. Die historischen Umstände bargen also zugleich den Zwang als auch die Chance zu einer weitestgehend kohärenten Neudefinition einer Vor- und Eigengeschichte des nunmehr sozialistischen Teils Deutschlands, zur Lokalisierung und Kanonisierung historischer Referenzpunkte, mithin zum Entwurf einer kollektiven Identität der entstehenden Gesellschaft, die es auf materiellsymbolischer Ebene insbesondere in architektonischen und städtebaulichen Gesten festzuschreiben galt.
Der Verwirklichung der mitunter hastig entwickelten Agenden des Wiederaufbaus ging zunächst ihre öffentliche Bekanntgabe und Legitimierung voraus, die vor allem durch den Film geleistet werden konnte: Die ersten Projekte der DEFA waren Trümmerfilme. Mit Berlin, Potsdam und Dresden popularisierten gleich drei der bedeutendsten Städte innerhalb der SBZ noch im Jahre 1946 ihre jeweiligen Aufbaupläne in Gestalt mehrminütiger Filme, die allesamt als typologische Grenzgänger zwischen Spiel-, Dokumentar- oder gar Trickfilm zu informieren und zu motivieren wussten. Als politische Destillate entsprechender Meinungsfindungsprozesse des Jahres 1946 zeugen sie „anschaulich” von der visuellen und ethischen Kodifizierung des Neubeginns, von den allerersten Schritten der Identitätsfindung eines Gesellschaftsprojektes, welches auf deutschem Boden faktisch geschichts- und somit traditionslos war, sich aber dennoch in der Geschichte zu verorten und über Erbaneignung zu legitimieren suchte.
Die folgenden vergleichenden Analysen des inszenatorischen, ikonografischen und rhetorischen Repertoires der drei Filme Berlin im Aufbau (Regie: Kurt Maetzig), Potsdam (Regie: Joop Huisken) und Dresden (Regie: Richard Groschopp) soll vor allem eines zeigen: Der frühe Entwurf von soziokultureller Eigengeschichte fiel in der SBZ regional durchaus verschieden aus, zielte am Ende aber stets auf einen moralischen Freispruch der deutschen Bevölkerung. Bevor die Filme jedoch auf ihre jeweilige Inszenierung historischer Vor- und Gegenbilder, insbesondere aber ihre Verwendung des Ruinenmotivs hin befragt werden können, bedarf es zunächst eines Blicks auf den kulturpolitischen und historischen Kontext ihrer Entstehung sowie auf die älteren und jüngeren Bildtraditionen, die in den Filmen ihre Renaissancen und Ausdeutungen erfuhren.
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