Es ist hier der Ort zu einer Erwägung allgemeiner Art. Man mag Helena naïv als absolute Vertreterin des griechischen, rein formalen Schönheitsideals, oder, wie wir, als eine durch romantische Ironie gebrochene und daher relativierte Spiegelung dieses Ideals betrachten. In der Schlußfolgerung, daß Faust dieser erneuten Versuchung zum Verweilen im schönen Augenblick nicht unterliegt, wird man zusammenkommen müssen. Das Reich der Schönheit hat für den hemmungslosen Willen keine haltende Kraft. Auch es ist nur ein Durchgangspunkt zu einer höheren Stufe. Wenn es also nur darum geht, dann ist alles in Ordnung. Faust wird nicht faul; er hat seine strebende Seele gerettet und äußerlich dem Teufel obgesiegt. Aber es handelt sich ja nicht allein darum, daß Fausts Tätigkeit höher wird. Sie muß—und das scheint uns das Entscheidende—auch “reiner” werden. Eine Erhöhung des Orts und selbst eine Beschränkung des Wirkungsfelds allein tun das nicht. Diese verändern wohl das Ziel, aber nicht die Immanenz des Willens. Wenn dieser die Idee, anstatt sie zu vergewaltigen, nicht in sich aufnimmt, dann hat alle Orts- und Zielveränderung geringen Wert. So lange Goethe seinen Faust nur durch die materielle Welt (Auerbachs Keller, Osterspaziergang, Gretchenerlebnis, Kaiserhof) führte, brauchte er sich um diese esoterische Seite des Problems nicht zu kümmern. Mit der Helenatragödie aber tritt Faust in das Reich des reinen Geistes ein, der sich ihm im Abglanz der Helena als Kunst objektiviert. Da dieser Geist “ewigen Wesens” und “den Göttern ebenbürtig” ist, erhebt sich die Frage, ob er in dieser Form sittlich-erzieherische Wirkung ausübt, d.h., ob die Kunst die Aufgabe der Ethik und Religion übernehmen kann.