Vor vierzehn Jahren konnte ich (1) in dieser Zeitschrift zusammenfassend über «Erbbiologische Untersuchungen über die Entstehung der Homosexualität» berichten. Wenn ich nunmehr nochmals auf diese Untersuchungen, die in der Zwischenzeit durch die Berechnung von möglichen Valenzen der geschlechtsbestimmenden Faktoren bei Homosexuellen und deren Eltern ergänzt wurden zurückkomme, so liegt die letzte unmittelbare Veranlassung darin, dass neuere cytologische Untersuchungen prinzipiell die Prämissen, von denen ich bei meinen Untersuchungen ausgegangen bin, bestätigten. Beim derzeitigen Ueberwiegen der psychologischen Literatur auf dem Gebiet der Homosexualitätsforschung schien es dazu schon an und für sich angezeigt, das Problem der Triebumkehr mit Fragen und Ergebnissen der Genetik und Erbbiologie darzustellen.
Die Untersuchungen, die von mir, nachdem sie schon einige Jahre geplant waren, im Jahre 1934 begonnen wurden, nahmen ihren Ausgang von folgenden Ueberle-gungen. Die Homosexualität ist eine ubiquitäre, bei allen Völkern, zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen auftretende Erscheinung, weshalb auch die meisten führenden Psychiater und Sexualforscheres sei nur an E. Kraepelin, A. Forel, E. Bleuler und R. von Krafft-Ebing erinnert stets neben den exogen bedingten Formen von Homosexualität eine Kerngruppe von genuiner, anlagebedingter Triebumkehr annahmen. Wir können also ihre Erklärung mindestens mit derselben Wahrscheinlichkeit wie in psychischen Faktoren in den ebenfalls ubiquitären physiologischen oder pathophysiologischen Vorgängen, die die Anziehung oder Abstossung der Geschlechter bedingen, suchen.