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“Die Säure Der Materialistischen Geschichtsauffassung.“ Zur Literatur Des Eingreifenden Denkens Bei Bertolt Brecht Und Gisela Elsner

Published online by Cambridge University Press:  28 October 2020

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Summary

Die Frage nach dem Vermögen und der gesellschaftlichen Aufgabe von Literatur ist so alt, wie die theoretische Auseinandersetzung mit dem Literarischen selbst. Allerdings: Was schon Platon diskutierte (und mit der Vertreibung der Dichter aus dem Idealstaat beantwortete), scheint heute dem Bereich der ideologischen Antike anzugehören und also allenfalls von quasi-archäologischem Interesse zu sein. Mehr als ein Vierteljahrhundert nachdem Francis Fukuyama das “Ende der Geschichte” verkündete, herrscht ein, wie Mark Fisher mit einem kongenialen Ausdruck feststellte, “capitalist realism,” der sich im weitesten Sinn definieren lässt als “widespread sense that not only is capitalism the only viable political and economic system, but also that it is now impossible even to imagine a coherent alternative to it.” Selbst im Raum der Imagination—und d.h. für Fisher in der Kulturproduktion—hat die Alternative zum Bestehenden also keinen Ort mehr. Folglich kann vom Standpunkt des capitalist realism jener Frage nach dem Vermögen der Kunst, sofern diese auf ein widerständiges Potential abzielt, auch kein Sinn mehr zukommen und jede Auseinandersetzung mit ihr bloß noch im Modus der Rekonstruktion des Vergangenen ohne Bedeutung für die Gegenwart vonstattengehen.

Entgegen diesem kapitalistisch-realistischen Zug zur Negation und Auflösung von Widerstandsmöglichkeiten (in der Kunst und außerhalb) unternehme ich es am Beispiel von Gisela Elsner zu zeigen, dass Literatur im Sinne Brechts ein “eingreifendes Denken” organisieren und damit widerständig wirken kann. Dieser Ausdruck, der Brechts unveröffentlichten Notizen entstammt, bedarf einer Erläuterung: In den Jahren 1931/32 beschäftigt sich Brecht in einer Reihe von (ebenfalls unveröffentlichten) Texten mit Fragen marxistischer Dialektik, wobei sein Interesse insbesondere dem Zusammenhang von intellektueller bzw. künstlerischer Produktion und gesellschaftlicher Realität gilt. Dabei betont er, dass Kunst und Theorie, also die intellektuelle und ästhetische Auseinandersetzung mit der Welt, nicht einfach nur nachgeordnet auf diese reagieren, sondern eben in diese als Kraft eigenen Rechts in die sozialen Verhältnisse verändernd eingreifen (ein Ausdruck, den Brecht in diesem Zusammenhang immer wieder äußert) können. “Eingreifendes Denken” meint damit das Potential von kultureller Produktion, nicht bloß eine Erkenntnis der Welt zu vermitteln, sondern diese auch zu produzieren.

Type
Chapter
Information
Publisher: Boydell & Brewer
Print publication year: 2018

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