In meinem Beitrag zur Evans-Festschrift (“Um Grundsätzliches in der Märchenforschung”) handelte es sich vornehmlich um das Problem der Beziehungen von Märchen und Literatur zueinander, um die Frage nämlich, ob das Eingreifen eines ‘Märchenpflegers,’ dh. eines Schriftstellers, das Volksmärchen dauernd zu beeinflussen und zu ändern vermag oder ob die echte Volkstradition sich im Grunde doch nicht von literarischen Vorgängen in der intellektuellen Oberschicht stören läßt. Ich versuchte an Beispielen zu zeigen, daß durch eine im Wesen der vielfachen, parallelen mündlichen Überlieferung liegende Selbstkorrektur das Volksmärchen selbst nach ausgedehnten Wanderungen durch mehrere Sprachgebiete und durch lange Jahrhunderte seine ursprüngliche Struktur zu erhalten weiß und daß literarische Umformungen nur von beschränkter Wirkung sind. Immer vorausgesetzt bleibt bei diesem Ergebnis natürlich die grundsätzliche Annahme aller wissenschaftlichen Märchenforschung von heute, daß die meisten Märchen ‘Kunstmärchen im Volksmunde’ sind, daß am Anfange der Überlieferung eines bestimmten Märchens eine Urform anzunehmen ist, die eine kunstvolle, in sich geschlossene logische Motivfolge aufwies und deren Struktur ‘so und nicht anders’ aus der schöpferischen Phantasie eines anonymen Erzählers entsprang.